Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
ist ein MÄDCHEN«, formte die hochschwangere Frau mit den Lippen für
Hanne. »EIN MÄDCHEN!«
Hanne Wilhelmsen brach wider Willen in Gelächter aus.
»Ein Mädchen, Billy T. Wirst du also endlich Papa von einem Mädchen? Die
arme, arme Kleine!«
»Dieser Mann macht nur Jungs«, sagte Billy T. und tippte mit dem Zeigefinger
auf das Umstandskleid. »Und das hier, meine Freundinnen, das ist mein Sohn.
Der fünfte in der Serie. Darauf schwöre ich Stein und Bein.«
»Was wolltest du eigentlich?«
Hanne Wilhelmsen versuchte, Billy T.s Herumgealber zu ignorieren.Tone-
Marit Steen machte den tapferen Versuch, sich loszureißen. Beide Versuche
mißlangen.
»Billy T.!«
Er schnitt eine Grimasse und schaute Hanne verärgert an.
»Verdammt, wieso bist du jetzt immer so sauer? Kriegst du pausenlos deine
Tage oder was? Reiß dich endlich zusammen, Mensch!«
Seine Grimasse wurde zu einem für Tone-Marit bestimmten Lächeln, als er
sich aus dem Sessel aufrappelte und verschwand.
»Was wollte er denn nun?« fragte Hanne und breitete demonstrativ die Hände
aus.
»Keine Ahnung«, sagte Tone-Marit und setzte sich mit einem Stöhnen, das sie
zu unterdrücken versuchte. »Aber ich hab was für dich. Dieser Typ, der
angeblich Halvorsruds Frau enthauptet hat...«
»Stile Salvesen«, sagte Hanne kurz. »Was ist mit dem?«
»Ja. Von dem der Staatsanwalt immer wieder behauptet. . . «
»Ich weiß, von wem du redest«, fiel Hanne ihr wütend ins Wort. »Also, was
gibt's Neues?« »Tot.« »Tot?«
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Stäle Salvesen war nicht zu finden gewesen, seit Hanne nachts die Suche nach
ihm eingeleitet hatte. Ein Zettel mit Informationen über ihn lag vor ihr.
Alter: 52 Jahre. Zivilstand: geschieden. Arbeit: Frührentner aus
Gesundheitsgründen. Ein erwachsener Sohn. Wohnhaft: Vogts gate 14.
Einkünfte 1997: 32000 Kronen. Kein Vermögen. Außer dem Sohn keine
Angehörigen. Und der Sohn lebte in den USA.
Zwei Streifenwagen waren um drei Uhr nachts nach Torshov gefahren, um
nach Stäle Salvesen Ausschau zu halten. Da er nicht zu Hause war und seine
Wohnungstür nicht abgeschlossen hatte, hatten sie eine inoffizielle
Besichtigung vorgenommen.Triste Behausung, aber aufgeräumt. Das Bett
gemacht. Im Kühlschrank Milch mit abgelaufenem Verfallsdatum. Diese im
Telegrammstil gehaltenen Auskünfte stammten aus dem Bericht, der den
persönlichen Daten angeheftet war.
»Was meinst du mit tot«, sagte Hanne mit unnötig scharfer Stimme; die
Tatsache, daß Salvesen nachts nicht zu finden gewesen war, hatte ihr die
heimliche Hoffnung gegeben, daß Sigurd Halvorsrud doch die Wahrheit sagen
könnte.
»Selbstmord. Ist am letzten Montag ins Meer gesprungen.«
»Ins Meer gesprungen?«
Hanne Wilhelmsen fand das komisch. Warum, wußte sie nicht.
»Es war ein. . . . uuuups!«
Tone-Marit legte die Hand auf ihren Bauch und hielt den Atem an.
»Einfach nur ein Bäuerchen«, keuchte sie dann. »Ein Spaziergänger hat
gesehen, daß sich am Montag abend um kurz vor elf ein Mann von der Staure-
Brücke gestürzt hat. Die Polizei hat gleich in der Nähe Salvesens alten Honda
gefun
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den. Offen, der Zündschlüssel steckte noch. Auf dem Armaturenbrett lag ein
Abschiedsbrief. Ganz einfache Mitteilung, vier Zeilen, er erträgt es nicht mehr
etcetera, etcetera.« »Und die Leiche?«
»Noch nicht gefunden worden. Gerade in der Gegend sind die
Strömungsverhältnisse ziemlich wild, es kann also noch dauern. Und Salvesen
kann auch beim Sturz schon ums Leben gekommen sein. Es sind über zwanzig
Meter.«
Ein Feueralarm heulte auf.
»Neiiin«, schrie Hanne Wilhelmsen. »Ich hab diese falschen Alarme satt. Zum
Kotzen satt!«
»Du hast im Moment fast alles zum Kotzen satt«, sagte Tone-Marit ruhig und
stand auf. »Und es könnte ja vielleicht doch mal brennen.«
In der Türöffnung drehte sie sich um und sah ihre Vorgesetzte an. Einen
Moment lang sah sie aus, als wolle sie noch mehr sagen. Dann schüttelte sie
fast unmerklich den Kopf und ging.
6
»Es sieht nicht gerade gut aus«, sagte Hanne Wilhelmsen und goß neuen
Kaffee in den henkellosen Becher, der vor Oberstaatsanwalt Sigurd Halvorsrud
stand. »Das sehen Sie doch selbst, oder?«
Halvorsrud hatte sich gewaltig zusammengerissen. Er war frischgewaschen
und glatt rasiert. Außerdem trug er eine Krawatte, obwohl er gerade in einer
unkomfortablen Zelle residierte. Er nickte wortlos.
»Mein Mandant akzeptiert eine Woche Untersuchungshaft. Innerhalb dieser
Zeit
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