Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
sollte dieses Mißverständnis sich klären lassen.«
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Hanne Wilhelmsen hob die Augenbrauen. »Ehrlich gesagt, Karen. . . «
Eine fast unmerkliche Augenbewegung von Karen Borg sorgte dafür, daß
Hanne sich in ihrem Sessel aufrecht hinsetzte.
»Anwältin Borg«, sagte sie. »Ich habe hier einige Punkte notiert.«
Hanne legte Halvorsruds Anwältin einen Bogen mit einer handgeschriebenen
Liste vor. Dann ließ sie ihren Zeigefinger über die Gründe wandern, die die
Polizei veranlaßt haben, zu glauben, Oberstaatsanwalt Halvorsrud wesentlich
länger als nur für eine Woche in Untersuchungshaft behalten zu können.
»Er war am Tatort, als. . . «
»Er hat selbst die Polizei informiert.«
»Dürfte ich weiterreden, ohne unterbrochen zu werden?«
»Tut mir leid. Bitte sehr.«
Hanne Wilhelmsen nahm sich eine Zigarette. Halvorsrud hatte schon drei
geraucht, noch ehe sie die Formalitäten erledigt hatten, und in diesem
Moment war es Hanne schnurz, daß Karen sich Macken zugelegt hatte, seit sie
Mutter von zwei Kindern geworden war.
»Halvorsrud war zugegen, als der Mord begangen wurde. Seine
Fingerabdrücke sind überall. Auf dem Schwert, auf der Leiche. Überall.«
»Aber er wohnt. . . «
»Anwältin Borg«, sagte Hanne demonstrativ deutlich und erhob sich.
Sie blieb am Fenster des Büros stehen, das ihr erst kürzlich zugeteilt worden
war. Das Zimmer gehörte ihr gewissermaßen noch nicht. Sie gehörte nicht
dorthin. Es gab kaum einen persönlichen Gegenstand in diesem Raum. Es war
nicht ihre Aussicht. Die Bäume der Allee vor dem alten Haupteingang des
Gefängnisses waren noch nackt. Langsam
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rollte ein Fußball über den Kiesweg, doch ein Kind war nicht zu sehen.
»Ich schlage vor«, Hanne Wilhelmsen machte einen neuen Anfang und ließ
aus alter Gewohnheit einen Rauchring zur Decke hochsteigen, »daß ich meine
Überlegungen vortragen darf. Dann bist du an der Reihe. Ohne Unter-
brechungen.«
Abrupt drehte sie sich wieder zu den beiden anderen um. »In Ordnung?«
»In Ordnung«, sagte Karen Borg und lächelte kurz, während sie für einen
Moment ihre Hand auf den Unterarm ihres Mandanten legte. »Natürlich.«
»Zu dem, was ich bisher gesagt habe, kommt die Tatsache, daß Halvorsrud
ein. . . gewissermaßen ein totes Alibi geltend macht. Er behauptet, ein gewisser Stäle Salvesen habe seine Frau mißhandelt und ermordet. Aber Stäle Salvesen
ist am Montag ums Leben gekommen.«
»Was?«
Der Staatsanwalt beugte sich vor und knallte mit den Ellbogen auf die
Tischplatte.
»Stäle Salvesen ist nicht tot! Nie im Leben! Er war bei mir. . . er hat gestern abend meine Frau umgebracht. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen, ich
kann. . . «
Er rieb sich den schmerzenden Arm und sah Karen Borg an, als erwarte er,
daß seine Anwältin für seine Geschichte bürgen werde. Doch diese Hilfe blieb
aus. Karen Borg machte sich an einem schlichten Diamantring zu schaffen und
legte den Kopf schräg, als habe sie nicht richtig gehört, was Hanne da gesagt
hatte.
»Stäle Salvesen hat am Montag abend Selbstmord begangen. Darauf weist
jedenfalls alles hin: Augenzeugen, sein Wagen bei der Brücke, von der er
gesprungen ist, ein Abschiedsbrief.«
»Aber keine Leiche«, sagte Karen Borg langsam.
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Hanne schaute auf.
»Nein, noch nicht. Aber die wird schon auftauchen. Früher oder später.«
»Vielleicht ist er nicht tot«, sagte Karen Borg.
»Das kann natürlich sein«, sagte Hanne ruhig. »Aber bisher gibt es keine Spur
von einem Beweis dafür, daß dein Mandant die Wahrheit sagt. Mit anderen
Worten. . . «
Sie drückte ihre Zigarette aus und ärgerte sich darüber, daß es schon die
sechste an diesem Tag war. Sie wollte doch nicht wieder anfangen. Wirklich
nicht.
»Eine Woche ist zu wenig. Aber wenn ihr zwei akzeptieren könnt, dann
werden wir vierzehn Tage lang wie die Irren ackern.«
»Gut«, sagte Halvorsrud tonlos, ohne sich mit seiner Anwältin zu beraten.
»Ich verzichte auf den Termin im Untersuchungsgericht. Zwei Wochen.
Okay.«
»Mit Post- und Besuchsverbot«, fügte Hanne Wilhelmsen mit schroffer
Stimme hinzu.
Karen Borg nickte.
»Und so wenig Presse wie möglich«, sagte sie dann. »Mir ist aufgefallen, daß
die Zeitungen von der Geschichte noch nichts wissen.«
»Dream on«, murmelte Hanne, dann fügte sie hinzu: »Ich werde versuchen,
Ihnen eine Matratze zu besorgen, Halvorsrud. Wir führen morgen ein weiteres
und sehr viel umfassenderes Verhör durch,
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