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Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5

Titel: Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred
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daliegen und mich abtasten, Stück
    für Stück, Zoll für Zoll. Ich gehe davon aus, daß ich eine Art Bedürfnis danach
    hatte...«
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    Hanne schauderte und er verstummte. »Seltsam, daß du das sagst«, murmelte
    sie. »Ich weiß, was du meinst.«
    Ein Krankenpfleger schob ein Bett vor sie hin. Im weißen Bettzeug schlief eine
    alte Frau. An der mageren, von deutlichen, großen Adern geprägten Hand war
    eine Kanüle befestigt. Aus einer durchsichtigen Plastiktüte tropfte Salzwasser
    in die Hand der Frau. Sie öffnete kurz die Augen, als ihr Bett zum Stillstand
    kam. Hanne glaubte für einen Moment, ein für sie bestimmtes Lächeln zu
    erahnen.
    Sie war so schön.
    Hanne Wilhelmsen konnte ihren Blick nicht abwenden. Die Haare der Frau
    waren glänzend weiß und aus ihrem schmalen Gesicht zurückgestrichen. Sie
    hatte hohe Wangenknochen, und in dem fast unmerklichen Augenblick, als sie
    vielleicht lächelte und bestimmt die Augen öffnete, konnte Hanne sehen, daß
    ihre Augen das hellste Blau zeigten, das sie je gesehen hatte. Die Haut, die sich über den Gesichtsknochen spannte, schien so weich zu sein, daß Hanne am
    liebsten aufgestanden wäre und ihr die Wange gestreichelt hätte.
    Das tat sie dann auch.
    Die Frau öffnete wieder die Augen, diesmal richtig. Sie hob die freie Hand und
    legte sie behutsam auf Hannes. Dann kam der Krankenpfleger zurück.
    »Und jetzt zu uns«, sagte er, vor allem zu sich selbst.
    Hanne blieb stehen und schaute dem Bett hinterher, bis es zwanzig Meter
    weiter im Flur um eine Ecke bog.
    »Woher weißt du eigentlich, daß ich hier bin?« fragte sie halblaut. »Warum
    bist du hier?«
    »Setz dich«, sagte Mykland.
    Das tat sie nicht.
    »Setz dich«, wiederholte er, diesmal energischer. Er war ihr Vorgesetzter. Sie
    sank auf den Stuhl, sah Mykland aber noch immer nicht an.
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    »Du kannst Pflegeurlaub nehmen«, sagte er. »Der ist hiermit bewilligt. So
    lange du willst. Du...«
    Er unterbrach sich. Hanne Wilhelmsen beendete den Satz für ihn.
    »...hast das verdient«, sagte sie verächtlich. »Ich habe das verdient. Hast du
    überhaupt eine Vorstellung davon, wie satt ich es habe, immer wieder zu
    hören, daß ich Urlaub verdient habe? Ist das nicht nur eine schöne
    Umschreibung dafür, daß ihr Urlaub von mir verdient habt?«
    »Jetzt bist du paranoid, Hanne.«
    Seine Stimme klang resigniert, als er dann weitersprach.
    »Kannst du dich nicht ganz einfach damit abfinden, daß andere dich für
    tüchtig halten? Und damit basta? Und daß die Leute von der Wache...«
    »Vom Distrikt«, fiel sie ihm säuerlich ins Wort.
    »Daß sie es ganz richtig fänden, wenn du dir in dieser Situation ein paar Tage
    freinimmst?«
    Hanne holte hörbar Luft, als wolle sie etwas sagen. Dann hielt sie den Atem an
    und schüttelte den Kopf.
    »Du hast ein gravierendes Kommunikationsproblem«, sagte er ruhig. »Du
    mußt wissen, daß du die allererste Kollegin bist, der ich vom Tod meines
    Sohnes erzählt habe. Aber Respons von dir kommt nicht. Ich kann damit
    leben. Du auch?«
    »Tut mir leid«, murmelte Hanne. »Es tut mir wirklich leid. Aber ich möchte in
    Ruhe gelassen werden.« »Nein.«
    Wieder legte er ihr die Hand auf den Oberschenkel. Diesmal empfand sie nur
    Widerwillen bei dieser Berührung und erstarrte.
    »Das möchtest du nicht«, erklärte Mykland. »Du möchtest vor allem, daß
    jemand mit dir redet. Dir zuhört. Dich zum Reden bringt. Das versuche ich
    gerade. Aber es gelingt mir nicht besonders gut.«
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    Der Krankenhausgeruch wurde plötzlich überwältigend. Hanne Wilhelmsen
    spannte sich noch mehr, ihr Oberschenkel tat weh, denn sie straffte ihn aus
    aller Kraft, um den Mann dazu zu bringen, seine Hand zu entfernen. Eine
    Welle von Übelkeit durchjagte sie, und sie schluckte energisch.
    »Ich will arbeiten«, sagte sie durch zusammengebissene Zähne. »Ich will
    meine Ruhe haben und meine Arbeit tun. Ich habe...«
    Sie sprang auf, stellte sich vor ihn hin, zählte mit den Fingern mit und fauchte:
    »Einen Messermord, Kneipenprügeleien, rassistisch motivierte Überfälle. Und
    dazu den Fall einer enthaupteten Frau, bei dem ich rein gar nichts kapiere.
    Hast du überhaupt eine Ahnung davon, wieviel wir in unserer Abteilung zu tun
    haben? Hast du überhaupt eine Ahnung von mir und davon, was im Moment
    für Hanne Wilhelmsen das Beste ist?«
    Als sie ihren Namen sagte, klopfte sie sich mit dem rechten Zeigefinger so hart
    auf die Brust, daß es wehtat.
    »Nein. Hast du nicht. Ich aber,

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