Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
Evald Bromo stürzte. Der Sniffer jammerte und klagte und wollte ihm
unbedingt wieder auf die Beine helfen. Bromo dagegen wollte das lieber allein
schaffen. Am Ende lagen beide Männer als zappelndes Chaos vor dem
Haupteingang von Aftenposten.
Die Chefredakteurin bog bei der Kronenapotheke um die Ecke und lief achtlos
zwischen drei auf grün wartenden Autos über die Straße. Als sie das
Zeitungshaus erreichte, entdeckte sie Evald Bromo, der unter dem
aufdringlichsten
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Bettler der Gegend auf dem Boden lag. Sofort war sie davon überzeugt, daß ihr
Redakteur überfallen worden war. Wütend hieb sie mit ihrem Regenschirm
auf den Rücken des Sniffers ein, dann stürmte sie in die Rezeption ihrer
Zeitung und befahl, sofort die Polizei zu verständigen. Dann lief sie wieder
nach draußen.
Evald Bromo war jetzt allein, er lehnte an einer Säule und wischte sich Dreck
und Steinchen von der Kleidung. Er murmelte etwas Unverständliches vor sich
hin, als die Chefredakteurin darauf bestand, ihn zu einem Arzt zu bringen.
»Das war kein Überfall«, brachte er schließlich heraus. »Sondern einfach
Pech. Mir geht's gut. Danke.«
Die Chefredakteurin musterte ihn mißtrauisch. Plötzlich fiel ihr diese
seltsame, anonyme E-Mail ein.
»Ist alles in Ordnung, Evald?«
Sie legte ihm die Hand auf den Unterarm, und er starrte wie gebannt die
langen rotlackierten Nägel an, die halb in seinem Tweedjackenärmel
versanken. Er wollte sich losreißen, schluckte dann aber und zwang sich ein
Lächeln und besänftigende Worte ab.
»Alles okay. Wirklich.«
»Und sonst auch? Nichts, was dir besonders zu schaffen macht?«
»Nein«, sagte er und hörte selbst, daß das gar zu schroff klang. »Es geht mir
ausgezeichnet.«
»Na schön«, die Chefredakteurin lächelte aufmunternd. »Wir müssen eine
Zeitung machen, Evald. Bis dann.«
Sie verschwand im Gebäude, hochaufgerichtet und kerzengerade. Die
Zufriedenheit lag wie ein angenehmes Heizkissen auf ihrer Brust. Es war für
sie eine Herzensangelegenheit, sich um das Wohl und Wehe ihrer Mitarbeiter
zu kümmern. Niemand sollte behaupten können, sie habe bei Evald Bromo
ihre Pflicht versäumt. Sie achtete nicht
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einmal darauf, ob er ihr in das große Zeitungshaus folgte. Aber schließlich
begegnete ihr auf dem Weg zum Fahrstuhl der Finanzminister.
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Es war fast halb fünf, als Hanne Wilhelmsen aus dem Krankenhaus
zurückkam. Sie hatte eine Viertelstunde vor dem Spiegel in der Toilette
zubringen müssen, um ihr Gesicht soweit präsentabel zu machen, daß die
Rötung um ihre Augen als Symptome einer heftigen Frühjahrserkältung
durchgehen konnte. Sie verdeckte die schlimmsten Flecken auf ihren Wangen
mit Tönungscreme und zog sich tiefrot die Lippen nach. Und sie mußte sich
bald die Haare schneiden lassen. Nur konnte sie nicht sagen, wann sie Zeit
und Kraft dafür finden würde.
»Das waren lange zwei bis drei Stunden«, sagte Karianne Holbeck halb
vorwurfsvoll und halb neugierig und ließ ihre Augen dabei an Hanne auf und
ab wandern.
Neun Ermittler, gefolgt von Abteilungsleiter Jan Sorlie, quollen aus dem engen
Besprechungszimmer. Der unangenehme Geruch eingesperrter Menschen
umgab sie und erhob sich wie eine Wand vor Hanne, als sie sich eine Cola aus
dem Kühlschrank holen wollte.
»Tut mir leid«, murmelte Hanne ihrem Chef zu, als sie aneinander
vorübergingen. »Dringender Auftrag von eher privatem Charakter.«
Er schwieg, bedachte sie aber mit einem Blick, der verriet, daß Billy T. — oder
vielleicht dieser verdammt zudringliche Polizeipräsident - den Schnabel zu
weit aufgerissen hatte. Sorlies Augen zeigten ein hilfloses Mitleid, und Hanne
senkte ihren Blick und schloß ohne Grund hinter sich die Tür.
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Billy T. riß sie wieder auf. »Jetzt hab ich dich!«
Er lächelte schwach und setzte sich auf den Stuhl am Tischende. Hanne
brauchte ewig lange, um die Cola an der Stelle zu finden, wo sie sie drei Tage
zuvor deponiert hatte. Schließlich half das Suchen ihr nicht mehr weiter. Sie
hatte sie ja schon längst gefunden.
»Möchtest du eine Zusammenfassung?« fragte Billy T, als Hanne sich endlich
aufrichtete und den Kühlschrank schloß. »Langsam zeichnet sich da ein Bild
ab.«
Er malte mit seinem Zeigefinger ein unsichtbares Muster auf die Tischplatte,
als sei seine Aussage wortwörtlich gemeint gewesen.
»Du kannst auch ein Gespräch kriegen«, sagte er dann leise. »Oder eine
Umarmung.«
Erlegte die Hände auf
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