Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
sie zurück, nahm
ihr den Kanister ab und stellte ihn hinter den Baumstamm, auf dem sie saßen.
»Du bist heute wirklich in Selbstmordstimmung, das muß ich sagen. Wie oft
sagst du derzeit >Tut mir leid«
Nicht oft genug, dachte Hanne und schwieg.
»Erik Henriksen hat mit den vier Leuten gesprochen, gegen die in den
Diskettenfällen ermittelt wurde. Alle streiten ab, jemals etwas mit Halvorsrud
zu tun gehabt zu haben. Wir überprüfen sie jetzt alle. Halten nach hohen
Überweisungen Ausschau, deren Zweck sie nicht richtig belegen können. Nach
solchem Kram. Natürlich sehen wir uns auch die Finanzen der Familie
Halvorsrud an. Bisher gibt es darüber nichts zu sagen. Aber wir suchen weiter.
Außerdem haben wir ja Kariannes Geschichte mit diesem Vielleichttürken.
Hört sich gar nicht gut an für Halvorsrud, wenn sie stimmt.«
»Und ein tüchtiger Jurist kann also blöd genug sein, sich namentlich
vorzustellen, wenn er sich bestechen lassen will?«
»Punkt«, Billy T. nickte. »Guter Punkt.«
Plötzlich wechselte der Wind die Richtung. Der Rauch brannte ihnen in den
Augen. Billy T. sprang auf und versuchte, ihn wegzufächeln. Hanne lachte kurz
und hustete, und der Wind drehte sich noch einmal.
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»Der Computer hat seiner Frau gehört«, sagte Billy T. und setzte sich wieder
hin. »Das wissen wir zumindest. Ich habe die Tante gebeten, die Kinder zu
fragen. Sie konnten nicht erklären, warum die Festplatte leer war. Angeblich
hat ihre Mutter dauernd am Computer gesessen, sagen die Kinder.«
»Warum hast du sie nicht selbst gefragt?«
»Ich habe dem Ältesten so mehr oder weniger versprochen, seine Geschwister
in Ruhe zu lassen. Thea scheint restlos aufgelöst zu sein, die Arme. Und die
Taschenlampe hat Marius gehört. Auch das hat die Tante in Erfahrung ge-
bracht. Er behauptet, sie vor einiger Zeit verloren zu haben. Hat sie an einer
Kerbe im Deckel wiedererkannt.«
Das Feuer war jetzt fast erloschen. Als Hanne ein weiteres Stück Treibholz
hineinwarf, fauchten die letzten Flammen wütend auf, um dann im Rauch zu
ertrinken.
»Eins wüßte ich ja auch noch gern«, sagte sie und schlang sich die Arme um
den Leib. »Wie soll dieser angebliche Stäle Salvesen - oder jemand, der sich als er verkleidet hatte — überhaupt in Halvorsruds Haus gekommen sein? Meines
Wissens hat da nichts auf einen Einbruch hingewiesen. Zugleich beteuert
Sigurd Halvorsrud, daß die Tür abends immer abgeschlossen war.«
»Er ist einfach strohdoof«, murmelte Billy T. »Es hätte viel besser zu seiner
Geschichte gepaßt, wenn er behauptet hätte, die Tür sei offen gewesen.«
»Aber sie haben Kinder«, sagte Hanne. »Gehen wir?«
»Was ist mit den Kindern?«
Billy T. blieb sitzen und schaute Hanne an, die aufgestanden war und im
immer schneidenderen Wind herumtänzelte.
»Kinder verlieren doch pausenlos ihre Schlüssel. Komm.« Sie lief in Richtung
Auto los.
»Eigentlich begreife ich nicht, worauf wir noch warten«, sagte Billy T , als er sich auf den ramponierten Beifahrersitz
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fallen ließ. »Die Sache scheint doch ganz klar zu sein. Wir haben nur selten
eine so starke Indizienkette wie bei diesem Fall. Halvorsrud ist der Schuldige.
Offenkundig.«
»Also, warum zögern wir?« sagte Hanne leise; sie hatte die Hände auf dem
Schoß liegen und spielte zerstreut mit dem Autoschlüssel. »Warum sind wir so
auf diesen Stäle Salvesen fixiert?«
»Du«, korrigierte Billy T. »Du bist auf diesen Stäle Salvesen fixiert. Ich muß
zugeben, daß ich vorübergehend an Halvorsruds Schuld gezweifelt habe. Aber
jetzt neige ich zu. . . «
»Das Ganze ist einfach zu offensichtlich«, fiel Hanne ihm ins Wort und steckte
den Schlüssel ins Zündschloß. »Siehst du das nicht? Der Fall ist absurd, aber
zugleich offenkundig. Es ist unvorstellbar, daß Halvorsrud seine Frau
enthauptet hat, aber zugleich weist alles darauf hin. Siehst du nicht, was für
ein Bild hier entsteht?«
Billy T. kämpfte mit dem Sicherheitsgurt und schwieg.
»Ein Set-up«, flüsterte Hanne Wilhelmsen. »Es ist alles inszeniert.«
»Oder ganz einfach ein verdammt ungeschickter Mord, der nach Set-up
aussehen soll«, sagte Billy T. trocken und suchte im Radio nach NRK P2.
»Bis ich Stäle Salvesens Leiche mit eigenen Augen gesehen habe, möchte ich
die Möglichkeit offenhalten, daß Halvorsrud doch die Wahrheit sagt«, sagte
Hanne.
Sie warf einen letzten Blick auf die Staure-Brücke, dann verließ sie den
Parkplatz und
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