Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
Sie blieben ihm im Hals stecken
und machten ihm Atembeschwerden.
»Was ist denn bloß los mit dir?« fragte sie ärgerlich. »Kannst du es nicht
endlich aufmachen, damit ich sehe, was du gekauft hast?«
»Nein, hörst du nicht? Das ist bloß zum Joggen, und dafür hast du dich doch
nie interessiert.«
Die gebratenen Zwiebeln schmeckten nach Gummi und Grillkräutern.
»Also wirklich, Evald. Wieso darf ich diesen. . . diesen Pulsmesser denn nicht
sehen?«
Sie stand auf und lehnte sich an seine Knie. Als sie nach dem Päckchen greifen
wollte, packte er blitzschnell ihr Handgelenk und drückte zu.
»Hörst du nicht, daß ich nein sage?«
So hatte er sie noch nie angeschrien. Nicht so heftig. Und er hatte sie auch nie physisch verletzt. Jetzt drückte er ihren Unterarm so fest zusammen, wie er
nur konnte, und ließ sie erst los, als ihr die Tränen über die vom Bratendampf
feuchten Wangen strömten.
»Verzeihung«, sagte er resigniert. »Ich bin im Moment einfach immer so
müde. Und es ist wirklich nur ein Pulsmesser. Ganz uninteressant.«
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Sie gab keine Antwort. Sie ging mit ihrem Teller ins Wohnzimmer und setzte
sich an den schönen Eßtisch, an dem seit vielen, vielen Jahren keine Gäste
mehr Platz genommen hatten.
Evald Bromo ließ das Essen stehen, nahm das Päckchen und verschwand,
ohne zu verraten, wohin er wollte.
53
Es war Freitag, der 23. März 1999, und Sigurd Halvorsrud sollte dem Osloer
Untersuchungsgericht vorgeführt werden. Er saß jetzt seit, genau drei Wochen
in der auf vier Wochen begrenzten Untersuchungshaft. Daß sein Fall vor
Ablauf dieser Frist neu verhandelt wurde, war ungewöhnlich, wenn auch nicht
direkt aufsehenerregend. Es kam zwar bisweilen vor, daß die Polizei Häftlinge
freiließ, noch ehe sie dazu gezwungen war. Aber das war nur selten auf irgend-
eine Weise dramatisch. Sie mußten das tun, wenn die von
Untersuchungsgericht und Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen für die Haft
nicht mehr vorlagen. Die Polizei verspürte indes durchaus nicht den Wunsch,
Oberstaatsanwalt Halvorsrud laufen zu lassen.
Durchaus nicht; die Polizeianwältin Annmari Skar arbeitete bereits an einem
Antrag auf weitere Haft, den sie am Ende der ersten Frist vorlegen wollte. Als
sie am Donnerstag nachmittag Karen Borgs Antrag auf Haftentlassung für
ihren Mandanten erhielt und erfuhr, daß der Fall schon am Freitag morgen
behandelt werden sollte, schluckte sie einen saftigen Fluch hinunter und
dankte zugleich den Göttern dafür, daß sie sich in den Fall schon gründlich
eingearbeitet hatte.
»Eine Woche vor dem normalen Haftprüfungsstermin«,
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murmelte sie Billy T. zu, als sie die Treppe zum Osloer Gerichtsgebäude
hochstiegen und im Zickzack eine Hochzeitsgesellschaft durchquerten, die
dem kleinen Schild trotzte, aus Rücksicht auf die Vögel keine Reiskörner zu
werfen.
»Aber so lange können sie nicht warten. Eine Woche!«
Aus einem Grund, den nur die Verwaltung des Gerichtsgebäudes begreifen
konnte, sollte die Verhandlung im Saal 130 stattfinden. Annmari Skar und
Billy T. ließen sich durch die doppelten, fast vier Meter hohen Türen
schleusen, auf die dann im beeindruckenden Foyer des Gerichtsgebäudes noch
eine gigantische Schwingtür folgte. Sofort waren sie in Blitzlicht gebadet. Billy T. mußte die untersetzte Polizeianwältin vor dem Fallen retten, als ein
übereifriger Reporter eines kleineren Fernsehsenders sich in den Kopf gesetzt
hatte, hier der Frechste und Tüchtigste zu sein, und buchstäblich durch die
Beine des riesigen Polizisten kroch, um Annmari Skar sein Mikrofon ins
Gesicht zu halten. Sie und Billy T. bahnten sich einen Weg zur Glaswand auf
der linken Hallenseite. Sie erreichten ohne weiteres Mißgeschick die Tür zum
richtigen Saal, gefolgt von einem ganzen Anhang von Journalisten.
»130«, seufzte Annmari Skar. »Da drinnen haben wir doch kaum genug Platz
zum Atemholen. Wie sollen die vielen . . . «
Sie schaute sich resigniert um.
»Geschlossene Türen«, beruhigte Billy T. sie. »Wir kriegen geschlossene
Türen und Ruhe und Frieden.«
»Glaubst du, ja«, sagte Annmari Skar wütend. »Die kriegen wir nur, wenn
Anwältin Borg das verlangt. Wir haben nicht. . . «
»Pst«, fiel Billy T. ihr ins Wort. »Das hat noch Zeit.«
Er schob ein aufdringliches Mädel beiseite. Sie war um die Zwanzig und hatte
lange blonde Haare, Kaugummi und Diktiergerät.
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»Ihr werdet verdammt noch mal jünger und jünger, ihr von
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