Holt, Anne - Hanne Wilhelmsen 5
herablassend musterte. Aus der Ferne hörte er das Rauschen der Stadt,
doch kein Mensch war zu sehen. Er zog die Tür hinter sich zu, schloß ab und
ging zur Straße hinunter. Dreißig Meter weiter den sachten Hang hinab
standen zwei Autos, die er aber beide kannte. Pettersens bauten die Garage
um, deshalb mußten die Wagen draußen stehen.
Er drehte sich um, stieg in seinen Opel Omega, drehte den Zündschlüssel um
und fuhr langsam auf die Straße.
Er wollte nicht zurück ins Gefängnis.
Er würde schon für einen Freispruch sorgen.
Nach nur hundert Metern bremste er. Auf Ruuds Auffahrt stand ein
Streifenwagen. Das konnte ein Zufall sein. Im Wagen war niemand zu sehen.
Trotzdem drosselte er das Tempo, drehte und fuhr zurück zu seiner eigenen
Garage. Er schloß das Auto ab, zog die Garagentür ins Schloß und ging ins
Haus.
Er konnte noch einige Zeit warten.
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Endlich war etwas eingerichtet worden, das mit gutem Willen als
Besprechungsraum bezeichnet werden konnte. Daß es im Polizeigebäude nicht
genug Dienstzimmer gab, war ein arges Problem, und Hanne Wilhelmsen war
der Ansicht gewesen, daß sie vorläufig ohne Besprechungsraum auskommen
konnten. Doch nun hatten sie einen freigelassenen Verdächtigen, seltsame
Spuren in die absurdesten Richtungen und waren von einer Aufklärung des
Falls offenbar weiter entfernt als zu irgendeinem Zeitpunkt, seit Doris Flo
Halvorsrud ermordet worden war.
Der Polizeipräsident war frisch rasiert und hatte ein wenig kleidsames Stück
Klopapier an seinem blutverschmierten Kinn kleben.
»Hab mittags ein wenig trainiert«, sagte er zu seiner Entschuldigung. »Und
mich danach rasiert. Hatte es ein wenig zu eilig.«
Hanne Wilhelmsen setzte sich in dem länglichen, fensterlosen Raum ans
Tischende. Hinter ihr stand ein blanker Overheadprojektor. Sie spielte mit
zwei Filzstiften und wartete darauf, daß alle sich setzten.
»Die Zeitungen hatten ein Spitzenwochenende«, sagte Erik Henriksen laut.
»Nichts als Hohn und Spott. VG und Dagbladet reiten auf zwei Pferden.
Erstens haben wir jetzt einen von den inzwischen so zahlreichen
>Polizeiskandalen<...«
»...und außerdem ist die Freilassung des Oberstaatsanwalts ein Skandal«,
fügte Karianne Holbeck hinzu und trank aus einem Plastikbecher Cola light.
»Sie sollten sich wirklich entscheiden. Entweder haben wir schlechte Arbeit
geleistet, oder wir machen einen Unterschied zwischen Jupiter und dem
Ochsen.«
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»Ach, die heulen doch immer«, sagte Karl Sommaroy und gähnte.
Der Abteilungsleiter traf als letzter ein. Die tiefe Furche in seiner Stirn schien nun von Dauer zu sein. Er schaute Hanne an und legte die Hände auf den
Tisch.
»Wir haben jetzt alles in allem zwölf Leute auf diesen Fall angesetzt«, sagte
Hanne. »Und bei dieser Besprechung wollen wir unseren derzeitigen Stand
zusammenfassen und die Aufgaben für die nächsten Tage verteilen. Ich
hatte...«
Sie spielte an der unkleidsamen Haarspange herum, die sie jetzt brauchte, um
überhaupt sehen zu können. Billy T. lachte ungeniert.
»Fesches kleines Teil, das da.«
Hanne ignorierte ihn und sagte: »So, wie ich es sehe, können wir aus der
Entscheidung des Untersuchungsgerichts allerlei lernen.«
Ein unzufriedenes Gemurmel wogte durch den Raum. Hanne hob die Stimme.
»Richter Bugge hat auf etliche Schwächen in unseren bisherigen Ermittlungen
hingewiesen. Wir müssen uns auf drei Hauptlinien konzentrieren.«
Sie erhob sich, zog die Kappe von ihrem blauen Filzstift und begann auf dem
Overheadprojektor zu schreiben.
»A: Korruptionsspur. Wo stehen wir da, Erik?«
Erik Henriksen beugte sich vor und betrachtete einen Fleck auf dem Tisch.
»Die Computerleute von der Wirtschaftskripo haben uns geholfen und
Halvorsruds PC auf den Kopf gestellt. Da war nichts von Interesse zu finden.
Sie waren verdammt gründlich, haben gelöschte Dateien gesucht und so.
Nada.«
Er schaute auf.
»Außerdem habe ich die vier auf den Disketten erwähnten Personen zu neuen
Vernehmungen bestellt. Aber ich glaube ehrlich gesagt nicht...«
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Wütend fuhr er sich durch den feuerroten Schopf.
»Es sieht nicht gerade verdammt rosig aus. Ich hab ja auch die ersten
Vernehmungen geleitet, und entweder sind alle vier saugute Schauspieler,
oder sie sagen wirklich die Wahrheit. Und dieser Anruf bei deinem Kumpel,
dem Türken, der kam aus einer Telefonzelle am Olav Ryes plass. Beide Male,
übrigens. Wer immer angerufen hat, hat dabei mit
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