Holunderliebe
nicht, und Hemma hatte sorgfältig darauf geachtet, dass ihr Vater von ihrer Liebe nichts bemerkte. Sie erklärte, dass er jede Verbindung seiner Tochter ablehnte mit der Begründung, dass keiner sich so gut um sie kümmern könne wie er, Routger. Thegan sah in diesen Sätzen nur einen Mann, dem es schwerfiel, seine Tochter endlich ziehen zu lassen. Die arme Hemma gehörte ohnehin schon fast zu den alten Jungfern, während alle ihre Freundinnen längst verheiratet waren.
Kopfschüttelnd verschwand Thegan aus der Sichtweite des Hafens. Heute Abend würde er sich wieder mit Hemma treffen, sie wollte sich aus dem Haus ihres Vaters schleichen, während er auf dem See auf fetten Fang hoffte. Wahrscheinlich eine vergebliche Hoffnung, seit der letzten Hungersnot war der Untersee so gut wie leer gefischt.
Routger sah seine Tochter drohend an. »Er schleicht hier herum wie ein verliebter Gockel. Ich kenne diesen Blick, der hat kein anderes Ziel, als dich endlich zu bekommen.«
»Der Mann ist ein Adeliger«, protestierte Hemma und hoffte, dass die Röte ihrer Wangen sie nicht verraten würde. »Der muss nicht ein Mädchen aus der Klosterstadt ansprechen, wenn ihm nach Zerstreuung ist. Ich denke, da gibt es genügend Mädchen, die sich freuen, wenn sie seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen können.«
Routger sah sie an, ohne eine Miene zu verziehen. »Angeblich wurdest du mit ihm zusammen gesehen. Stimmt das?«
»Wer behauptet so etwas?«, wehrte Hemma sich. Wer konnte sie nur gesehen haben – mal abgesehen von ihrer Freundin Rothild, der sie fast täglich ihr Herz ausschüttete.
»Das tut nichts zur Sache«, erklärte Routger. »Ich möchte, dass du dich von ihm fernhältst. Wenn ich einen passenden Mann für dich auswähle, dann soll es ganz gewiss kein Krieger sein, der nach seiner Genesung wieder mit dem Schwert in der Hand in die Welt zieht. Ein Mann sollte seine Frau nicht zu lange alleine lassen.«
»Als ob du jemals einen Mann für mich auswählen würdest«, funkelte Hemma ihn an. »Das wird dann passieren, wenn der See kein Wasser mehr hat oder die Fische anfangen zu fliegen. Nie. Du hältst mich doch lieber in unserem Haus gefangen, damit du jederzeit frisches Brot und gewaschene Leinen hast. Wie eine Dienstbotin!«
»Diese Worte stehen dir nicht zu«, knurrte Routger düster. »Du hast keine Ahnung, warum ich etwas tue, also schweigst du besser stille. Hast du mich verstanden?« Damit stieg er in seinen Nachen und griff nach den Rudern. »Geh jetzt nach Hause. Wenn ich heute Nacht heimkomme, dann möchte ich sehen, dass du alles in bester Ordnung hast. Wir schlafen immer noch auf dem Stroh des letzten Herbstes, so nachlässig bist du geworden. Allmählich wird es Zeit für frische Kräuter und duftendes Heu. Haben wir uns verstanden?«
Hemma senkte den Kopf. Wenn ihr Vater erfuhr, dass sie sich in jedem freien Augenblick mit Thegan traf, würde er sie womöglich geradewegs ins nächste Kloster bringen. Eines für Frauen, nicht zu den Benediktinern, bei denen ihr Geliebter zu Gast war. Sie nickte ihm gehorsam zu und machte sich auf den Weg in ihr Haus. Da fiel ihr Thegan wieder ein, der am Seeufer verschwunden war. Sie kannte sein Ziel – die Bucht, in der er fast täglich schwimmen ging.
Trotzig drehte sie sich um und folgte ihm. Es war ihr egal, wenn es jemandem auffiel. Sie wollte jetzt Thegans warme Haut spüren und sein Gesicht aufleuchten sehen, wenn sie kam. Ihm erzählen, dass sie noch vorsichtiger sein mussten, um Routger nicht zu reizen. Und ihm sagen, dass sie sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen konnte …
Es dauerte nicht lange, bis sie um die letzte Biegung des Uferwegs trat und seinen Kopf einige Hundert Schritt draußen auf dem See sah. Geduldig setzte Hemma sich in den Schatten eines Strauches und sah sinnend über die Wellen hinweg.
Sicher, ihr Vater hatte recht, dass ihre Liebe zu dem Adeligen keine Hoffnung auf eine Zukunft hatte. Was wollte Thegan mit einer einfachen Fischerstochter? Was meinte er, wenn er lachend über ihre Bedenken hinwegging und erklärte, er sei ein freier Mann, der alle seine Entscheidungen frei treffen könne? Und überhaupt, was sollte dieses Gerede von Freiheit – wenn seine Narben endgültig verheilt waren, dann musste er wohl oder übel ins Haus seines Vaters zurückkehren, um wieder in den Kampf zu ziehen. Aber an diesen Moment wollte sie noch nicht denken.
Sie beobachtete Thegan, wie er in Richtung Ufer schwamm, und staunte wieder
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