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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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hob ihren Arm, um das Gemälde zu berühren, als Flavio auf sie zusprang.
    »Warte! Deine Sachen!« Flavio fasste Johanna an der Schulter und reichte ihr das Bündel. Im gleichen Moment berührten Johannas Finger den Rand der Leinwand, sie machte einen Schritt nach vorn und beide lösten sich im bleichen Licht des Mondes auf.
    Eiskalte Hände griffen nach Neles Herz, und es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was eben geschehen war. Sie glaubte, nicht mehr atmen zu können, rang nach Luft, wieder und wieder und dann schrie sie. Mit erstickter Stimme rief sie Flavios Namen und stolperte die Stufen zum Altar hoch. Panisch streckte sie die Hand aus und berührte dasBild, als könne sie ihn daraus zurückziehen. Aber Flavio war fort. Tränen liefen ihr über das Gesicht.
    Was sollte sie jetzt tun? Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Wer konnte ihr helfen? Nur Viviane wusste Bescheid.
    Nele wischte mit dem Ärmel über ihre Augen und stand auf. Sie warf einen letzten Blick auf das Gemälde, aber die Heiligen, die der Maler Celesti darauf verewigt hatte, blieben stumm. Sie drehte ihnen den Rücken zu und begann, langsam die Stufen zur Kirche hinunterzugehen. Ihre Beine wollten ihr kaum gehorchen. Sie hatte eben die letzte Stufe erreicht, da ließ ein Geräusch sie herumfahren.
    »
Maledetto!
« Vor dem Altar kniete Flavio und rieb sich die Schulter.
    »Flavio, du Idiot! Was um Himmels willen hast du dir dabei gedacht?«
    »Hoppla!« Flavio rappelte sich auf. »Welch liebreizende Begrüßung für einen heimkehrenden Krieger.«
    »Du Blödmann. Du verdammter Blödmann!« Nele wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
    »Hast du noch mehr von diesem Liebesgeflüster auf Lager?«, fragte Flavio grinsend, dann nahm sein Gesicht einen ernsten Ausdruck an. »Du wirst es nicht glauben, ich stand genau an dieser Stelle hier, nur viele Jahre zurück. Überall lagen Menschen wie Sardinen. Du hättest das sehen müssen. Es war schrecklich.« Er verzog das Gesicht, als könnte er jetzt noch das Stöhnen und Wimmernder Kranken und Sterbenden hören. »Außerdem roch es, es roch nach …« Flavio rang nach Worten. »Der Gestank war nicht zum Aushalten. Ich darf gar nicht daran denken, dass ich Johanna dort zurückgelassen habe. Wir müssen sie da rausholen, Nele, sie und ihren kleinen Bruder! So schnell wie möglich müssen wir sie da rausholen!«
    Nele schluckte. »Das werden wir. Aber lass uns erst mal zu Viviane zurück in die Pension gehen. Hier können wir jetzt sowieso nichts mehr tun.«
    Flavio nickte und folgte ihr. An der kleinen Tür drehte er sich noch einmal um und starrte zum Altar.
    »Ich werde wiederkommen. Und ich werde das Geheimnis um dieses Gemälde lüften.« Er wandte seinen Blick Nele zu. »Und kein Holzer dieser Welt wird mich daran hindern können. Niemand.«

22
    Als Nele und Flavio in die Pension Holle zurückkamen, war Viviane bereits ins Bett gegangen. Aber für Flavio und Nele war in dieser Nacht nicht an Schlaf zu denken.
    Flavio saß auf dem Boden in Neles Zimmer und erzählte noch mal, wie es in der anderen Zeit gewesen war und dass er ohne die Hilfe Johannas nicht zurückgekonnt hätte.
    »Jan muss irgendetwas über das Bild herausgefunden haben.« Wohl zum hundertsten Mal in dieser Nacht strich Nele die zerknitterte Fotografie glatt, die sie in den Notizen ihres Vaters gefunden hatten. Sie war sich sicher, dass Jan die Legende um das Altarbild kannte. War dies das Geheimnis, dem er auf der Spur war? Für ihn als Historiker musste eine Tür durch die Zeit eine fantastische Entdeckung sein. Er wäre nicht mehr gezwungen, sich Informationen über die Vergangenheit mühsam aus altenSchriftstücken zusammensuchen. Er konnte einfach in die Vergangenheit reisen, um sie sich zu beschaffen. Nele ahnte, wie verlockend dieser Gedanke für einen Mann wie ihren Vater sein musste.
    Was hatte das aber mit den gestohlenen Gegenständen zu tun? Und welche Rolle spielte Holzer bei dem Ganzen?
    Der Morgen graute schon, als Flavio sich plötzlich mit einem Ruck zu Nele umdrehte. »Wir gehen zurück ins Kloster. Jetzt!«
    »Jetzt? Aber wir dürfen nicht mehr dorthin. Hast du das schon vergessen?« Nele reckte sich.
    »Ich will wissen, was da vor sich geht. Ich will wissen, warum Holzer uns aus dem Weg haben will. Und …«, fügte Flavio mit einem Blick auf Neles gequälten Gesichtsausdruck hinzu, »ich will wissen, was mit deinem Vater passiert ist.«
    »Und Giovanni? Wenn er uns erwischt?«
    »Das wird

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