Holz und Elfenbein
Deshalb war es auch ganz und gar nicht klug, dass er sich jetzt so viel abverlangte. Aber Federico hatte sich schon den gesamten Nachmittag alles andere als klug verhalten. Gerade weil Lucrezias üble Nachrede der Wahrheit entsprach, hatte es ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht. Seine schiere Existenz stand hier auf dem Spiel. Würde ihn seine Hand eines Tages im Stich lassen...
Federico wagte nicht einmal an die Konsequenzen zu denken. Deshalb hatte er Klara und auch Alexis so angefahren, tief in seinem Innersten herrschte große Angst vor der Zukunft. Was, wenn die Schmerzen schlimmer wurden und sich nicht mehr betäuben ließen? Er sah auf als er eine Bewegung an der Tür wahrnahm. Es war ein junger Schüler, der äußerst verschüchtert auf den Flügel starrte. Wahrscheinlich wunderte er sich, dass man dem alten Instrument solche Töne entlocken konnte. Federico hatte seine Übungszeit überschritten und mit einem letzten prasselnden Abgang beendete er die Heroic.
Unwillkürlich ballte er danach die rechte Hand zur Faust. Nein, es war alles andere als klug gewesen. Das dumpfe Pochen in seinem Gelenk war wieder da, nach dieser großen Anstrengung und zusätzlich ließen auch die Tabletten in ihrer Wirkung nach. Sollte es sich nicht verschlechtern, stand er aber immer noch ein Konzert durch. Wenigstens dies hatte ihm sein ›Experiment‹ gezeigt.
Seine Laune war noch immer auf dem Tiefpunkt als er in seine Wohnung zurückkehrte. Er hörte Claude in dessen Zimmer auf der Geige spielen und hoffte, dass der Freund noch ein Weilchen üben würde. Federico verspürte nicht das Bedürfnis die Episode in der Mensa noch einmal durchzuspielen. Claude hatte mit Sicherheit davon gehört und würde Federico deshalb zur Rede stellen.
Er warf seine Tasche in die Ecke und trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Es war noch nicht genug, noch immer fühlte er sich aufgebracht und wütend. Sein Klavierspiel hatte ihm zwar geholfen wieder etwas sicherer und zuversichtlicher zu werden was seine Hand anging, aber noch immer ärgerte er sich über Lucrezia. Vornehmlich über Lucrezia und ein bisschen auch über Alexis, dass dieser es für nötig erachtete ihn so zurechtzuweisen. Natürlich wusste Federico auch, dass es Alexis gutes Recht war und waren Freunde nicht auch dafür da, dass sie einem den Kopf wuschen und auf unangenehme Wahrheiten hinwiesen? Gerade dies schätzte er doch an Alexis, wie sich Federico ins Gedächtnis rief. Aber deswegen waren die Worte des Organisten nicht minder leicht zu ertragen gewesen.
Federicos Blick fiel auf seine Sporttasche, die auf dem Kleiderschrank deponiert war. Das wäre eine Möglichkeit! Schon begann er die Fechtkleidung aus dem Schrank zu nehmen und in die Tasche zu packen. Heute würde er Claude nicht fragen, ob dieser mitkäme. Claude sah ihnen häufig beim Fechten zu und Federico vermutete, dass dies zum einen der Tatsache geschuldet war, dass Fechthosen von Natur aus etwas eng an den Körpern der Fechter anlagen, von den bestrumpften Waden ganz zu schweigen und zum anderen, weil Claude sich in den Jugendtrainer verschaut hatte. Federico schnippte mit den Fingern an die Klinge seines Floretts. Wenn er sich schon nicht gänzlich an dem Klavier hatte austoben können, auf der Planche würde ihm dies mit Sicherheit gelingen. Der Gegner, der ihm heute vor die Klinge käme, musste sich auf etwas gefasst machen.
Alexis‘ Herz machte einen Sprung als er das Klirren der Klingen hörte und er fragte sich, warum er denn überhaupt mit dem Fechten aufgehört hatte. Als Jugendlicher hatte er es schließlich mit so großer Hingabe betrieben und hatte auch einige sportliche Erfolge gefeiert. Irgendwann mit Anfang zwanzig hatte er aufgehört. Erst nach dem Desaster mit Henry hatte er sich wieder zunehmend dem Sport gewidmet. Es war eine willkommene Ablenkung gewesen und kurz nach ihrer Trennung hatte Alexis sogar mehrmals die Woche trainiert. Natürlich konnte er noch nicht an sein altes Niveau anknüpfen und würde auch nicht auf Turniere gehen wollen, aber um in Form zu bleiben und als Ausgleich zu der vorwiegend sitzenden Tätigkeit als Organist kam ihm das Fechten sehr gelegen. Gerade unterhielt er sich mit einem der Trainer des hiesigen Vereins und beobachtete dabei die Gefechte auf den Bahnen im hinteren Teil der Halle. Zwei Fechter lieferten sich gerade ein äußerst eindrucksvolles Duell und trieben sich von einem Ende der Wettkampfbahn zum anderen.
Laut Aussage von
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