Holz und Elfenbein
zusammenzupacken als er kurz mit dem Anrufer gesprochen hatte. Es war wohl jemand aus England gewesen.
Federico fand es immer noch befremdlich, wenn Alexis Englisch sprach. Schnell huschte er so still und leise aus dem Saal wie er gekommen war. Doch am nächsten Abend kam er wieder und hatte Glück. Erneut war es Alexis, der noch übte. Federico war über dessen Spielart überrascht. Alexis hatte eine Virtuosität und Fingerfertigkeit, die er dem Organisten gar nicht zugetraut hätte. So mancher Profipianist hätte sich davon eine Scheibe abschneiden können! Er war durchaus beeindruckt und so etwas war Federico noch nie passiert. Noch nie hatte er einen anderen Musiker um etwas beneidet.
Zwei Wochen lang kam er Abend um Abend in den großen Konzertsaal, setzte sich immer auf den selben Platz in der letzten Reihe und beobachtete Alexis. Es kam Federico so vor als ob er den Organisten erst jetzt so richtig kennenlernen würde. Jetzt in diesen Stunden in denen Alexis in fast völliger Dunkelheit vor der Orgel saß. Federico beobachtete jede noch so kleine Regung, jedes verschmitzte Lächeln, wenn Alexis zufrieden mit einer Phrase gewesen war. Dies hier war einfach nur Alexis, der Musiker, der Mensch. Kein Student, der gerne mal unliebsame Konkurrenten auflaufen ließ. Oder zickigen Biestern wie Lucrezia brisanten Familienklatsch unter die Nase rieb. Nicht der an Luxus gewöhnte Sohn eines Diplomaten, der einen teuren Sportwagen fuhr. Dies alles war nur störendes Beiwerk, das Federico gerne verdrängte, wenn er nur diese Töne hörte, die Alexis der Orgel entlockte. Schon längst hatte sich Federico in diese Musik verliebt.
Er hatte vorgenommen sich das nächste Mal sich zu erkennen zu geben und auf Alexis zu warten. Doch er wurde enttäuscht, denn er traf Alexis nicht mehr an der Orgel an. Auch beim Fechten hoffte er vergebens wieder mit seinem inzwischen liebsten Trainingspartner auf der Bahn zu stehen. Jeden Tag wartete er in der Mensa und den Vorlesungen darauf, dass Alexis durch die Tür kam. Da lief ihm der Organist so oft über den Weg und was war jetzt? Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Es gab eine Vielzahl von möglichen Erklärungen: Eine Konzertreise, ein Kurs an einer anderen Universität, vielleicht auch eine Familienangelegenheit in England. Wieso hatte ihm Alexis nichts davon gesagt? Aber dann fragte er sich, was für eine Veranlassung Alexis haben sollte ihn über seinen persönlichen Terminkalender zu informieren.
Es ließ sich nicht leugnen, er vermisste Alexis. Jedoch wusste er nicht, was genau er vermisste. Die Musik, das Orgelspiel, diesen heimlichen Blick auf Alexis, der sich unbeobachtet wusste? Oder vielleicht einfach nur Alexis‘ Stimme, sein Blick, sein Körper? Diese heimelige, behagliche Atmosphäre, wenn sie zusammen in Alexis‘ Wohnung waren?
Alles Gedankengänge, die Federico zunehmend verwirrten und er als störend empfand. Er sollte nicht so viel Zeit damit verschwenden und doch ertappte er sich dabei, wie er am Schreibtisch saß und mit dem Bleistift einen bestimmten Rhythmus klopfte, den er bei Alexis gehörte hatte. Er lieh sich sogar die CD von Alexis aus, die in der Bibliothek stand. Sogar Claude fiel es schon auf, dass Federico seltsam unruhig und gereizt war.
Er hatte Claude von Alexis‘ nächtlichen Übungsstunden erzählt und auch, dass der Organist wohl zurzeit nicht am Konservatorium weilte. Aber vor allem wie sehr er fasziniert war von der Art wie Alexis an der Orgel spielte.
»Es ist unglaublich. Die Sachen, die ich mit der linken Hand spiele, macht er einfach so mit den Füßen, auf dem Pedal!«, berichtete Federico seinem Mitbewohner. Sie standen in der Küche und machten sich Sushi. Einmal in der Woche kochten sie abends gemeinsam und Claude hatte Lust auf etwas Asiatisches gehabt. Sushi war insofern recht praktisch, weil sie immer zu viel Reis machten und den noch tagelang essen konnten.
»Sogar Lucrezia könnte von ihm noch etwas lernen in puncto Fingerfertigkeit«, befand Federico als er den Fisch in Streifen schnitt. »Und ich dachte immer, die Organisten könnten da nicht mit uns Pianisten mithalten.«
Doch Federico ereiferte sich noch mehr: »Allein auf den Gedanken zu kommen, Chopin oder auch Beethoven auf der Orgel zu spielen! Unglaublich. Ich frage mich, ob es sein Professor weiß, dass er so krasse Sachen an der Orgel macht. Ich vermute aber nicht, warum sonst übt er so spät abends.«
»Ach, das würde ich so nicht sagen, vielleicht
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