Holzhammer 02 - Teufelshorn
tastete nach dem Lichtschalter und sah auf die Armbanduhr, die auf dem Nachtkasten lag. Es war genau fünf Uhr.
Matthias und sie hatten getrennte Schlafzimmer. Ihr Geliebter schnarchte so unglaublich, dass an gemeinsame Nachtruhe nicht zu denken war. Das Haus war ja groß genug, Christine hatte lediglich zwei der unbenutzten beziehungsweise zur Abstellkammer degradierten Zimmer wieder in Betrieb nehmen müssen. Das eine als Schlafzimmer, das andere als kleines Lesezimmer für die Fälle, in denen auf dem großen Fernseher im Wohnzimmer Fußball lief. Vor Matthias hatte sie keine Ahnung gehabt, wie viele wichtige Fußballspiele in diesem Land zelebriert wurden – und insgeheim bezweifelte sie deren Wichtigkeit immer noch stark.
Jetzt aber brauchte sie männlichen Beistand und marschierte schlaftrunken in ihrem Flanellnachthemd zu Matthias hinüber. Sie öffnete die Tür. Kein Schnarchen. Also war er ebenfalls wach geworden. Aber er schien keineswegs beunruhigt, sondern lag friedlich da und lupfte die Decke, damit sie zu ihm schlüpfen konnte.
«Hast du das auch gehört?», fragte sie und kuschelte sich an ihn.
«Ja, Weihnachtsschützen», sagte er.
Natürlich wusste Christine von der Existenz der Weihnachtsschützen. Sie schossen mit Vorderladern in die Luft – und zwar an Weihnachten. Deshalb hießen sie ja so.
«Es ist September», gab sie zu bedenken.
«Wahrscheinlich eine Hochzeit», antwortete Matthias, «sie schießen auch bei Hochzeiten.»
«Um fünf Uhr morgens?», fragte Christine.
«Nein, eigentlich nicht», sagte Matthias. «Eigentlich schießen sie um vier Uhr morgens. So war es jedenfalls bis vor kurzem. Aber im Zuge der Total Service Quality wollte man den Feriengästen das nicht mehr zumuten. Deshalb schießen sie jetzt um fünf.»
«Eine Riesenverbesserung», murmelte Christine, schon wieder halb eingeschlafen. Bestimmt hatte diese Konzession die Verantwortlichen viel Schweiß und jahrelange Verhandlungen gekostet.
Vier Stunden später saß Christine an ihrem prätentiösen Arbeitsplatz in der Reha-Klinik, der eher an einen Ölmagnaten denken ließ als an Psychotherapie. Vermutlich hatte der Innenarchitekt der Klinik diese Möbel ausgesucht, damit sich auch das Dubai-Publikum wie zu Hause fühlte. Allerdings hatte sie noch nie einen Scheich in der Sprechstunde gehabt, sondern allenfalls Sparkassenvorstände mit Burnout. Prominenz war bisher nur in Gestalt von Weltmeistern, Europameistern oder wenigstens Deutschen Meistern in irgendwelchen Wintersportarten aufgetaucht. Durchaus manchmal tragische Fälle, wenn so eine medaillenverwöhnte Sportskanone sich aufgrund eines karrierebeendenden Unfalls eine ganz neue Rolle im Leben suchen musste.
Auf der fußballfeldgroßen Buchenplatte ihres Schreibtischs lagen die neuen Patientenakten. Erstaunt las Christine den Namen Georg Zilinsky. Der Bürgermeister von Bischofswiesen war in der Reha gelandet, obwohl es da gar nicht viel zu rehabilitieren gab – außer seinen Kopf. In der Akte konnte Christine schwarz auf weiß nachlesen, was Holzhammer schon gestern Abend erzählt hatte: Der Mann hatte einen schweren Schock. Er litt sogar an Amnesie. Die zwei Stunden vor und die eine Stunde nach dem Unfall waren angeblich in seinem Hirn komplett gelöscht. Er war gestern kurz im Krankenhaus gewesen. Die hatten aber nichts mit ihm anfangen können und ihn mit Benzodiazepin nach Hause geschickt. Seine Frau aber hatte noch am gleichen Abend die Rettung gerufen und darauf bestanden, dass ihr Mann «irgendwo eingeliefert» werde. Nach Rücksprache mit dem Hausarzt hatte man sich dann darauf geeinigt, ihn hier abzuliefern. Die Alternative wäre die Psychiatrie in Gabersee gewesen.
Christine überlegte, was sie über den Mann wusste. Es war nicht viel. Sie wusste nicht einmal, wie er aussah. Entweder war er wirklich weniger in der Öffentlichkeit präsent als der Schönauer Bürgermeister, oder man bekam nur in Bischofswiesen etwas von ihm mit. Sie hatte keine Ahnung, was Georg Zilinsky jemals für seine Gemeinde getan hatte oder warum er überhaupt gewählt worden war. Nun ja, Letzteres ließ sich wohl einfach dadurch erklären, dass er der CSU-Kandidat war. Wie er das geworden oder wie lange er schon Bürgermeister war, wusste sie nicht. Sie würde Matthias danach fragen. Ein bisschen Hintergrundwissen konnte nicht schaden.
Sicher war jedenfalls, dass Politiker im Landkreis nicht zu den wirklich wichtigen Leuten zählten. Viel wichtiger – und vor allem
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