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Holzhammer 02 - Teufelshorn

Holzhammer 02 - Teufelshorn

Titel: Holzhammer 02 - Teufelshorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fredrika Gers
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Vorsprünge, die gut anzufliegen waren. Auf so einem Vorsprung wartete Josef Berg. Am langen Tau wurde zunächst ein Gurt zu ihm herabgelassen. Berg nahm den Gurt von Haken und legte ihn an. Dann kam das Tau wieder angeschwebt, und Berg klinkte sich ein. So einfach funktionierte die Sache natürlich nur, weil Berg selbst Bergwachtler war. Bei einer normalen Rettungsaktion musste ein Retter abgelassen werden, der dem Verunglückten den Gurt anlegte.
    Die Touristen in St. Bartholomä verrenkten sich jedenfalls die Hälse und knipsten die Batterien ihrer Digitalkameras leer. Die Gämsen in der Ostwand hingegen hoben kaum den Kopf, sie kannten das. In den Sommermonaten kam der große Knattervogel mindestens einmal die Woche, um verstiegene Zweibeiner abzuholen. Das war nicht weiter interessant. Der große Knattervogel war kein Adler, er schlug keine Kitze. Das hatte sich bei allen Gämsen herumgesprochen.
    Der Spurensicherer schwebte dreißig Meter unter dem Hubschrauber hängend quer über den Königssee. Unter ihm grünes Wasser und weiße Elektroboote. Über der Wiese neben dem Parkplatz ging der Hubschrauber vorsichtig runter, bis Berg am Boden stand. Er klinkte sich aus, winkte nach oben, und der Hubschrauber verschwand knatternd wieder Richtung Reiteralm.
    Zwanzig Minuten später stand Josef Berg neben Holzhammer im Matsch. Immer noch in Bergschuhen und kurzer Hose. Er trug einen schweren Koffer, aber er schnaufte nicht. Gegen die 600 Höhenmeter Wand, die er noch vor sich gehabt hatte, war das hier natürlich nicht mal ein Spaziergang.

    Christine blickte auf ihren Höhenmesser. Hier irgendwo musste die Abzweigung sein. Der alte Steig zu einer ehemaligen Alm, der heute kaum noch begangen wurde. Im Herbst waren solche Steige meist am besten zu sehen, weil während des ganzen Sommers zumindest einige wenige Eingeweihte ihre Trittspuren hinterlassen hatten. Zudem half es, wenn das Gras bereits trocken war und niederlag. Sonst verdeckte es die schmalen Pfade oft komplett. Doch hier waren nicht zu wenige, sondern zu viele Spuren. Und Steindauben waren auch keine zu sehen.
    Die vielen Trittspuren stammten von Gämsen. Sie hatten sich ihre eigenen Pfade getreten, die jedoch nur von einem Grasfleck zum anderen führten, zu einem gemütlichen Latschengebüsch oder einem kleinen Überhang, unter dem man bei Regen und Schnee Schutz fand. Die Gamspfade vermittelten jedenfalls nicht den Durchstieg, den Christine suchte. Sie hatte gelesen, dass es hier früher einen Steig gegeben hatte – durch die steilen Schrofen hinauf bis aufs Plateau.
    Bis vor einem Jahr hatte sie das Wort «Schrofen» gar nicht gekannt. Schrofengelände bezeichnete Steilhänge aus brüchigem, sandigem Fels, der meist stellenweise mit Gras oder Latschen bewachsen war. Erosionsvorgänge hatten diese Hänge geschaffen. Schrofen waren niemals ganz senkrecht, aber sie konnten sehr steil werden. Oftmals wurde ein unten gut gangbarer Hang nach oben hin immer steiler. Wenn man Glück hatte, war der Hang zu Ende, bevor es zu schwierig wurde.
    Vor Jahrtausenden waren diese Felsen einmal stark und fest gewesen, jetzt bröckelten sie vor sich hin, jedes Jahr ein bisschen. Die gesamten Kalkalpen wurden so Stückchen für Stückchen abgetragen. Sie waren ein Monument der Vergänglichkeit. In einigen Millionen Jahren würde die Erosion sie dem Erdboden gleichgemacht haben. Aber hier, an diesen schrofigen Stellen, fing es an: Wasser drang in die Kalkfelsen ein, wurde im Winter zu Eis und sprengte die Strukturen von innen. Die Lawinen im nächsten Frühjahr nahmen viel von dem losen Schutt mit, aber es blieben noch genügend mehr oder weniger lose Steine und sogar große Blöcke übrig, die sich erst beim Drauftreten oder Festhalten lösten.
    Bei Kletterern war solch brüchiges Gelände natürlich nicht sehr beliebt. Man wusste nie, ob der nächste Griff oder Tritt halten würde – oder sich bei Belastung ins Tal verabschiedete. Auch Gämsen stürzten manchmal auf diese Weise ab, sie hatten keineswegs einen unfehlbaren Instinkt für lose Tritte, sondern verließen sich einfach darauf, dass eines ihrer vier Beine schon greifen würde.
    Christine hatte nur zwei Beine. Auf denen stieg sie hin und her und entschloss sich dann, eine fast pfadartig aussehende kleine Rinne hinaufzukraxeln. Der Boden war mit feinem Schutt bedeckt, es war rutschig. Bei jedem Schritt, für den sie keinen größeren Stein fand, rutschte sie ein Stück wieder zurück. Trotzdem ging es 50 oder

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