Homicide
Street aufklären werden. Er braucht sich nur das Auftreten des Straßendealers anzusehen, der so dumm war, sich zwei Stunden nach den Schüssen wegen eines Drogendelikts festnehmen zu lassen. Außerdem wirkt er auch nicht sonderlich widerspenstig, wie er so dasteht, sondern eher etwas schwer von Begriff. Um diese Zeit bringt der Junge nicht einmal ein anständiges Augenfunkeln zustande, und als Edgerton seine Handschellen zückt, streckt er ihm doch tatsächlich die Arme entgegen, die Handflächen nach oben.
»Behaltet ihn nicht zu lange«, sagt der Sergeant, »damit er zum Unterricht wieder da ist.«
Ein bekannter Spruch in den Revieren, aber Edgerton kann nicht lachen. Auch der Junge schweigt. Dann bringt er einen Satz heraus, der eher wie eine Feststellung als wie eine Frage klingt.
»Sie wollen mit mir wohl auch über Pete reden, Mann.«
»Nur dass es bei mir ernst ist«, erwidert Edgerton. Er führt seinen Häftling ins Freie und zur Rückbank des Cavalier. Auf der Lombard Street Richtung Westen lässt es sich Edgerton nicht nehmen, an der Kreuzung zur Penn Street auf das Gebäude der Rechtsmedizin zu deuten.
»Wollen Sie Ihrem Freund nicht nachwinken?«
»Wer soll das sein?«
»Pete. Der Junge von Payson und Hollins.«
»Er ist nicht mein Freund.«
»Nicht?«, meint Edgerton. »Also wollen Sie ihm nicht nachwinken?«
»Wo ist er denn?«
»Gleich dort. In dem weißen Haus.«
»Was macht er da?«
»Nicht viel. Das ist die Leichenhalle.«
Er wirkt nicht weiter überrascht, stellt der Detective bei einem Blick in den Rückspiegel zufrieden fest. Er sitzt seit den frühen Morgenstunden des vergangenen Tages im Southwestern in einer Zelle, aber er hat inzwischen erfahren, dass das Opfer gestorben ist.
»Ich weiß nichts über diesen Mist«, erwidert der Junge mit fünf Sekunden Verspätung. »Was soll das? Warum holen Sie mich aus dem Southwestern?«
Edgerton verlangsamt die Geschwindigkeit und lenkt den Wagen auf den Standstreifen. Dann dreht er sich um und fixiert das dunkle, runde Gesicht des Jungen mit einem scharfen Blick. Der wirkt zwar unbeeindruckt, doch Edgerton meint, bereits den ersten Anflug von Angst riechen zu können.
»Das brauche ich Ihnen nicht zu erklären«, erwidert er kalt, schaut wieder nach vorn und drückt aufs Gaspedal. »Vergessen Sie alles, was Sie über Cops wissen, denn wir machen einen neuen Anfang. So einen wie mich haben Sie garantiert noch nicht erlebt. Ich werde mit Ihnen reden, wie keiner zuvor.«
»Sie wollen mit mir reden.«
»Genau.«
»Aber ich weiß doch nichts.«
»Sie waren dabei«, beharrt Edgerton.
»Ich war nirgends.«
Edgerton bremst wieder ab und dreht sich um. Der Junge macht sich tatsächlich ein bisschen kleiner
»Sie waren dort«, wiederholt Edgerton langsam.
Diesmal entgegnet der Dicke nichts, und Edgerton legt die letzten sechs Blocks schweigend zurück. Zwei Stunden, denkt der Detective. Eine Stunde, vierzig Minuten, und dieser Kerl schildert mir alles, was auf der Payson Street passiert ist, und dann noch einmal zwanzig Minuten, um alles aufzuschreiben und die einzelnen Seiten abzuzeichnen.
Manchmal kann es allerdings auch geschehen, dass man sich mit Vorhersagen über Vernehmungen irrt. Das hatte Edgerton drei Wochen zuvor erfahren, als er seinen Hauptverdächtigen im Mord an Brenda Thompson einem dritten und abschließenden Verhör unterzog. Als er an jenem Tag zu ihm hineinging, lautete seine Prognose: Geständnis, doch obwohl er ihn sechs Stunden bearbeitete, kam er mit nicht als Lügen heraus. Diesmal aber ist er zuversichtlich. Zum einen, weil er es auf diesen Jungen nicht abgesehen hat, weil er lediglich ein Zeuge ist. Zum anderen, weil er sein Drogendelikt als Druckmittel einsetzen kann. Und letztlich, weil John Nathan kein Mitgefühl besitzt, wie er vor einer Minute bewiesen hat.
Im Dezernat schiebt Edgerton den Jungen in den großen Vernehmungsraum und beginnt mit seinem Monolog. Zwanzig Minuten später zeigt der Zeuge mit einem Nicken, dass er halbwegs einverstanden ist. Alles in allem dauert es eineinhalb Stunden, bis Edgerton eine glaubwürdige Darstellung der Schüsse in der Payson Street bekommen hat, einen Bericht, der mit allem, was er vom Tatort weiß, übereinstimmt.
Demnach hatte Gregory Taylor seine Abnehmer tatsächlich mit gefaktem Stoff hereingelegt und sich den Profit in die eigenen Adern gejagt – selbst nach den diffusen Regeln des Drogenhandels in dieser Stadt nicht gerade der beste Weg, um ihm eine
Weitere Kostenlose Bücher