Homicide
Inbegriff eines Einzelgängers, bestand eine Mordermittlung in einem Zweikampf zwischen ihm und dem Killer, einer Hetzjagd, und die anderen Detectives, Lieutenants und jede andere Stelle der Polizei hatten dabei lediglich die Aufgabe, ihm als leitendemErmittler nicht im Weg zu stehen. Darin lag zwar Edgertons Stärke, aber es war auch sein wunder Punkt. Da er nicht nach der Maxime »Einer für alle, alle für einen« vorging, war er ein ständiges Ärgernis für sein Team. Wenn er allerdings einen Einsatz annahm, drückte er sich nicht. Während sich manche andere Detectives nur so lange mit einer Tat befassten, bis ihnen die Leitstelle eine neue zuteilte, verbiss sich Edgerton in einen Fall und gab ihn erst auf, wenn ein Sergeant kam und ihn mit gar nicht so sanfter Gewalt zum nächsten schickte.
»Es ist eine Affenarbeit, will man Harry dazu bewegen, dass er einen neuen Fall übernimmt«, hatte Terry McLarney einmal gesagt. »Man muss ihn bei den Schultern packen und ihn anbrüllen: ›Harry, du bist jetzt dran!‹ Aber wenn man es einmal geschafft hat, schuftet er sich zu Tode.«
Nein, Edgerton bearbeitet nicht seinen Teil von Selbstmorden, Drogentoten oder in einer Zelle Erhängten. Er nimmt keine Bestellungen von den anderen mit, wenn er zu Crazy John’s fährt, um sich ein Cheesesteak zu holen; und haben sie ihn darum gebeten, hat er es ganz bestimmt vergessen. Nein, er ist kein Arbeitstier wie Garvey oder Worden, der Stützpfeiler, um den die anderen aus dem Team ihre Kreise ziehen. Und wenn ein blutiger Anfänger von Cop bei einem Tankstellenüberfall sein Magazin leerfeuert, wird Edgerton gewiss nicht einspringen, um die Zeugenaussagen zu sichten und Berichte abzugleichen. Lässt man ihn jedoch allein machen, liefert er dem Team acht, neun sauber gelöste Fälle pro Jahr.
In seiner Zeit im Eastern District war Nolan Edgertons Vorgesetzter gewesen, und schon damals hatte es zwischen ihnen eine stillschweigende Abmachung gegeben. Edgerton war einer der talentiertesten und intelligentesten Streifenpolizisten in Nolans Sektor, auch wenn die anderen Uniformierten nicht wussten, was sie von ihm halten sollten. Edgerton handelte manchmal leichtfertig, gelegentlich sogar ein bisschen unverantwortlich, und dennoch geschah auf seinem Posten in der Greenmount Avenue nichts ohne sein Wissen. Das Gleiche galt jetzt im Morddezernat. Vielleicht schwebte Edgerton mal ein, zwei Tage in den Wolken, trotzdem konnte Nolan sicher sein, dass Harry seine Fälle letztlich bearbeitete. Der Sergeant hatte es nicht leicht.
»Kümmere dich nicht drum«, sagte Nolan zu Edgerton nach einer von Kincaids Schimpftiraden. »Mach einfach so weiter wie bisher.«
Um den Zusammenhalt in seinem Team zu wahren, musste Nolan alles vermeiden, was zu Reibungen führen konnte. Deshalb kreisten sie weiterhin auf ihren eigenen Bahnen: Kincaid mit Bowman und Garvey, und Edgerton allein oder mit Nolan, wenn er tatsächlich einmal einen zweiten Mann brauchte. Doch das war plötzlich unmöglich geworden.
In der vergangenen Woche hatte Nolan zweimal belauscht, wie Kincaid und Bowman über Edgerton herzogen. An sich war das nichts Außergewöhnliches, jeder machte sich im Büro irgendwann mal über einen anderen Luft. Bemerkenswert war jedoch, dass beide Male der Verwaltungsleiter zugegen war – und damit der direkte Kanal zum Captain.
Ein Boss blieb ein Boss. Dass sich ein Detective über einen Kollegen in Gegenwart eines Lieutenant das Maul zerriss, ging einfach zu weit. Obwohl Nolan im Gegensatz zu den anderen Sergeants kein großer Fan von D’Addario war, kam es für ihn nicht infrage, dass Edgerton in einem möglichen Machtkampf als Munition benutzt wurde.
Rich Garvey war der Einzige im Team, der sich bei dem Ganzen ähnlich unwohl fühlte. Obwohl er in ihrer Truppe die meisten Einsätze übernahm, ging es ihm gegen den Strich, dass in einer Auseinandersetzung – von der ohnehin nichts nach draußen dringen sollte – ein Kollege, ein kompetenter noch dazu, am Pranger stand. Als er sich drei Tage zuvor mit Kincaid in einem Lokal in Fells Point zum Mittagessen getroffen hatte, sprach er die Sache an.
»Aber Nolan lässt ihm einfach zu viel durchgehen«, beklagte sich Kincaid bitter. »Als wir zuletzt Nachtschicht hatten, ist er bis auf einen Abend jedes Mal zu spät gekommen.«
Garvey schüttelte den Kopf. »Ich weiß. Mir ist klar, dass dich das ärgert, Donald«, erklärte er dem Älteren. »Aber vergiss nicht, für dich würde Nolan das
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