Homicide
längere Karriere zu sichern. Irgendwann beschiss er ein paar Jungs aus den Gilmour Homes und machte dann den Fehler, zu lange auf der Straße zu bleiben. Sie kamenin einem alten Pick-up wieder, gingen mit Flinten auf Taylor los und verlangten ihr Geld zurück. Das Opfer, das die Situation rasch erfasste, spuckte zwei Zehn-Dollar-Scheine aus, doch einem der Kunden reichte das nicht. Er begann zu feuern, jagte Taylor über die Kreuzung, und schoss noch weiter, als das Opfer schon auf dem Asphalt zusammengebrochen war. Dann liefen die beiden Männer zu ihrem Wagen zurück und fuhren auf der Payson Street Richtung Frederick Avenue.
In seiner kurzen Vernehmung liefert Nathan dem Detective bis ins kleinste Detail Namen, Spitznamen, Beschreibung und den vermutlichen Wohnort der Männer. Und als Edgerton ins Büro zurückkehrt, hat er alles, was er für die Ausschreibung zur Fahndung und für einen Haftbefehl braucht.
Aber das scheint ohne Bedeutung, als sich der Verwaltungsleiter – die rechte Hand des Captain – die Tagesprotokolle durchliest und feststellt, dass Edgerton einen Zeugen am Tatort befragt hat, ohne den Mann ins Präsidium zu bringen. Versäumnis! Verstoß gegen die Regeln, beschwert sich der Verwaltungsleiter. Abweichung von der üblichen Vorgehensweise! Entweder hat Edgerton die Lage falsch eingeschätzt, oder er war schlichtweg zu faul.
»Was, zum Teufel, weiß er von Ermittlungen?«, fragt Edgerton aufgebracht, als ihm Roger Nolan in der folgenden Nachtschicht von den Vorwürfen berichtet. »Der sitzt in seinem Büro und rechnet an Statistiken herum. Ist er überhaupt schon mal auf die Straße gegangen und hat einen Fall bearbeitet?«
»Beruhige dich, Harry!«
»Verdammt, der Junge hat mir am Tatort alles geliefert, was ich brauche«, schnaubt Edgerton. »Ist doch egal, ob ich dort oder hier mit ihm rede.«
»Ich weiß …«
»Diese bescheuerten Politiker! Sie hängen mir allmählich zum Hals raus.«
Nolan seufzt. Als Edgertons Sergeant steckt er in einer Zwickmühle. Er fühlt sich dem Captain verpflichtet, aber zugleich auch D’Addario, für den Edgerton mittlerweile zur Munition in einem offenen Schusswechsel geworden ist. Wenn Edgerton Einsätze fährt und Morde aufklärt, bestätigt er seinen Teamleiter; wenn nicht, haben der Captain undder Verwaltungsleiter den besten Beweis für ihre Behauptung, D’Addario lasse als Vorgesetzter die Zügel schleifen.
Jetzt aber ist alles noch schlimmer geworden. Mittlerweile muss sich Nolan nicht nur mit der Präsidiumspolitik befassen, sondern auch mit ernsten Problemen in seinem Team. Edgerton ist zum Blitzableiter geworden; vor allem Kincaid hat den jüngeren Detective im Visier.
Als langjähriger Ermittler alter Schule hat Kincaid eine genaue Vorstellung, wie sich ein Mann gegenüber seinem Team verhalten muss. Demnach sollte ein guter Detective morgens rechtzeitig zur Ablösung seiner Kollegen aus der vorigen Schicht antreten, Telefondienst machen und so viele Einsätze wie möglich annehmen; seinen Partner und die Leute aus dem Team entlasten und ihnen, ohne sich bitten zu lassen, bei den Zeugen und sogar am Tatort helfen. Es ist das Bild eines Kollegen, der in seiner Truppe aufgeht, eines Teamplayers, und Kincaid hat zweiundzwanzig Jahre lang alles getan, um dieser Vorstellung selbst gerecht zu werden. Sieben Jahre davon hat er in einer Schwarz-Weiß-Partnerschaft mit Eddie Brown, die wegen Kincaids breiter, gedehnter Sprechweise oft komische Züge annahm, Mordfälle gelöst. Und in den letzten zwei Jahren hat er sich mit jedem aus D’Addarios Schicht zusammengetan, der mit ihm zu einem Einsatz ausrücken wollte.
Daher kann Kincaid Edgerton einfach nicht verstehen. Er hegt keine persönliche Abneigung gegen ihn, versichert er seinen Kollegen im Büro. Schließlich hatte er sich gerade vor zwei Wochen mit ihm unterhalten, als sie sich auf McAllisters Grillparty für das Team trafen. Edgerton hatte seine Frau und seinen kleinen Sohn mitgebracht und war an jenem Nachmittag richtig aufgeräumt, schon fast charmant gewesen, gab Kincaid zu. Normalerweise wäre Edgerton wegen seiner Jugend, seiner Rasse und seiner urbanen New Yorker Herkunft nicht unbedingt Kincaids bevorzugter Gesprächspartner bei einem geselligen Beisammensein gewesen, aber letztlich hatte ihr Zwist ja eher mit Edgertons mangelndem Gemeinschaftsgefühl und Respekt vor dem von Kincaid so geschätzten Kameradschaftsgeist zu tun als mit seiner Persönlichkeit.
Für Edgerton, den
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