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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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und hier wurde dem Big Man plastisch vor Augen geführt, dass die Bosse jederzeit diejenigen waren, die das Sagen hatten.
    »Was auch passiert«, erklärt Worden Rick James, während er den Zigarrenrauch Richtung Fenster bläst, »die Dienstjahre können sie einem nicht nehmen.«
    James nickt. Ihm ist klar, worauf sein Kollege anspielt. Worden ist 1962 in den Polizeidienst getreten; er hat also die erforderlichen fünfundzwanzig Jahre zusammen und noch eins obendrauf. Er braucht nur sein Entlassungsgesuch auszufüllen, und schon hat er Anspruch auf die volle Pension.
    »Ich kann immer noch Fußböden verlegen und Trockenwände hochziehen und damit mein Geld verdienen …« Der letzte geborene Detective Amerikas wirft Putz an die Wände? Welch eine traurige Vorstellung. James verkneift sich einen Kommentar.
    »… oder Pelze ausfahren. Mit Pelzen macht man gutes Geld.«
    Worden beschließt sein Frühstück mit einem weiterem Becher Kaffee und einer neuen Zigarre. Dann räumt er seinen Schreibtisch auf und wartet in kaltem Schweigen darauf, dass es neun Uhr wird und das Gericht seine Tore öffnet.
    Mittwoch, 29. Juni
    Dass es auf der Kippe steht, weiß Fred Ceruti, sobald er an der Whittier Avenue um die Ecke biegt und den Krankenwagen vor sich sieht. Der Einsatz wurde um 3 Uhr 43 aufgerufen, also vor einer halben Stunde, rechnet er. Warum ist der Kerl dann immer noch hier im Krankenwagen?
    Der Detective stellt seinen Cavalier dicht hinter dem rot flackernden Signallicht der Ambulanz ab und beobachtet einen Moment durch die offenen Hecktüren die hektischen Bemühungen der Sanitäter. Ein Uniformierter, der neben dem hinteren Trittbrett der Ambulanz steht, wirft Ceruti einen Blick zu und zeigt kurz mit dem Daumen nach unten.
    »Sieht nicht gut aus«, sagt er, als Ceruti ausgestiegen ist und auf ihn zugeht. »Sie sind jetzt schon zwanzig Minuten da und konnten ihn noch nicht stabilisieren.«
    »Wo wurde er getroffen?«
    »Kopfschuss. Und eine in den Arm.«
    Das Opfer windet sich stöhnend auf der Trage. Seine Beine zucken langsam hin und her – die Knie nach außen und die Füße nach innen. Unkoordinierte Bewegungen, die dem Detective verraten, das man das »Zimmer frei«-Schild hinaushängen kann. Wenn ein Opfer mit Kopfschuss auf der Trage zu tanzen beginnt – wenn er »den Ententanz macht«, wie Jay Landsman es nennt –, kann man gewöhnlich den Bericht für ein Tötungsdelikt aufsetzen.
    Ceruti sieht, wie die Sanitäter in ihrem verzweifelten Kampf das Opfer in eine Druckhose zwängen. Mit Luft vollgepumpt beschränkt sie den Blutfluss auf die unteren Extremitäten, sodass der Blutdruck in Kopf und Rumpf stabil bleibt. Für Ceruti sind diese Hosen ein bedrohliches Zeichen. Sie erhalten den Mann zwar bis zur Klinik am Leben, doch irgendwann muss das Personal in der Unfallchirurgie die Luft wieder herauslassen. Der Blutdruck fällt schlagartig ab, und die Hölle bricht los.
    »Wo wird er hingebracht?«, fragt Ceruti.
    »Unfallchirurgie, wenn wir ihn stabilisieren können«, sagt der Fahrer des Krankenwagens. »Aber Scheiße, bis jetzt sieht es nicht so aus.«
    Ceruti wandert die Whittier Avenue rauf und runter und hakt die einzelnen Punkte ab wie bei einem Einkaufszettel. Dunkle Seitenstraße. Hinterhalt. Keine Zeugen. Keine Spuren. Womöglich ein Drogenmord. Wag es bloß nicht zu sterben, du Schuft. Wag es bloß nicht.
    »Waren Sie der Erste am Tatort?«
    »Ja. Einheit sieben-A-vierunddreißig.«
    Ceruti trägt die ersten Einzelheiten in sein Notizbuch ein, dann folgt er dem Uniformierten zu einer Gasse zwischen den Häusern 2300 und 2302.
    »Man hat uns angerufen, als hier Schüsse fielen. Da, an dieser Stelle, haben wir ihn gefunden, mit dem Kopf an der Wand. Und die hier steckte noch in seinem Hosenbund.«
    Der Uniformierte hält eine 38er-Fünfschüsser in die Höhe.
    Schlecht, denkt Ceruti. Richtig schlecht. Schon sein letzter Fall war ein Drogenmord im Western gewesen. Ein Knabe namens Stokes, niedergeschossen irgendwo zwischen den Häusern von Carrolton. In der Rechtsmedizin hatte sich herausgestellt, dass er HIV-positiv war. Auch der Fall ist noch offen.
    Ceruti schreibt einige Seiten seines Notizbuchs voll, dann geht er eineinhalb Blocks weiter zu einem Münzfernsprecher, um Verstärkung anzufordern. Landsman nimmt beim ersten Klingeln den Hörer ab.
    »Hallo, Jay«, sagt der Detective. »Es steht nicht gut um den Typ im Krankenwagen.«
    »Ach ja?«
    »Er hat einen Kopfschuss. Sieht nach Mord aus, also

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