Homicide
Fall Latonya Wallace zumindest für sich persönlich als abgeschlossen. Das Jahr 1990 begann für ihn mit acht aufgeklärten Fällen in Folge.
Zu Beginn dieses Jahres erledigte er noch eine kleine, aber vielsagende Aufgabe. Langsam und methodisch sortierte er die Schriftstücke der zahlreichen Ordner des Falls Latonya Wallace – zum besseren Überblick und Verständnis für den Detective, der ihn sich vielleicht später noch einmal vornehmen würde. In aller Stille gestand er sich damit ein, dass die Wahrheit über diesen Mord vielleicht erst ans Tageslicht kommen würde, wenn er, Tom Pellegrini, schon längst nicht mehr im Polizeidienst stehen würde – wenn es überhaupt jemals dazu kam.
Rich Garvey ist und bleibt Rich Garvey, ein Detective, der im neuen Jahr da weitermacht, wo er im alten aufgehört hat. 1989 war er nicht weniger erfolgreich als 1988 und konnte auch 1990 eine hervorragende persönliche Aufklärungsquote erreichen.
Doch im Rückblick auf die Fälle des Jahres 1988 muss man sagen, dass es nicht unbedingt den Tatsachen entspricht, wenn Garvey es sein Traumjahr nennt. Da war zum Beispiel der Mord im Sommer an dem Barmann in Fairfield, bei dem sich ein Zeuge die Autonummer des Fluchtfahrzeugs gemerkt hatte. Dieser Fall endete mit einem Desaster. Trotz der Aussagen von zwei Mitangeklagten, die Geständnisse ablegten und sich auf einen Deal einließen, der ihnen Haftstrafen von zwanzig beziehungsweise dreißig Jahren eintrug, wurden die beiden anderen Beschuldigten von den Geschworenen nach zwei geplatzten Prozessen freigesprochen. Der mutmaßliche Todesschütze, Westley Branch, ging straflos aus, obwohl man auf einer Dose Colt 45 direkt neben der Kasse seine Fingerabdrücke gefunden hatte. Garvey war am Tag der Urteilsverkündung zum Glück nicht im Gerichtssaal: Die beiden Freigesprochenen feierten ihren Sieg mit Jubelrufen und High-Fives.
Das war Garveys erster verlorener Fall, und weitere Enttäuschungen sollten nicht ausbleiben. Eine andere Mordanklage, die er im Dezember 1988 gemeinsam mit Bob Bowman vorbereitet hatte, fiel vor Gericht unerwartet in sich zusammen, als ein Familienmitglied des Opfers in den Zeugenstand trat, um den Mörder zu entlasten. Wie Garvey später erfuhr, hatte die Familie des Opfers vor Prozessbeginn mit dem Angeklagten Kontakt gehabt, und es war Geld geflossen. Auch der Tod von Cornelius Langley, Opfer einer Schießerei im Drogenmilieu auf der Woodland Avenue an einem helllichten Tag im August, blieb ungesühnt. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem der Hauptbelastungszeuge Michael Langley, der Bruder des Opfers, 1989 bei einem anderen Drogenmord ums Leben kam.
Aber es gab auch Siege. Der Prozess gegen Robert Frazier wegen des Mords an Lena Lucas endete für den Täter mit einer lebenslangen Haftstrafe ohne Möglichkeit auf Bewährung; dasselbe Strafmaß erhielt auch Jerry Jackson aus dem Osten Baltimores, der Mörder von Henry Plumer, der sein Opfer einfach im Keller ablegte. Am erfreulichsten verlief es vielleicht im Mord an Carlton Robinson, dem junge Bauarbeiter, deran einem eisigen Novembertag auf dem Weg zur Arbeit von seinem Freund und Kollegen niedergeschossen wurde, weil dieser am Tag zuvor auf der Baustelle als Schwachkopf verspottet worden war. Das Kernstück der Anklage waren Robinsons letzte Worte gegenüber dem am Tatort eingetroffenen Polizisten, in denen er einen gewissen Waddell als Schützen benannte. Allerdings hatte man bis dahin noch nicht klären können, ob Robinson bewusst war, dass er im Sterben lag, oder ob die Polizisten und Rettungssanitäter es ihm gesagt hatten – was die Verwertbarkeit dieser Aussage vor Gericht infrage stellte.
Garvey hatte um einen erstklassigen Staatsanwalt für diesen Fall gebeten und ihn auch bekommen. Bill McCollum, ein erfahrener Strafverfolger in der Abteilung Berufsverbrecher, befragte noch einmal die beteiligten Sanitäter und erfuhr, dass Carlton Robinson auf dem Weg zum Krankenhaus deutlich gesagt hatte, dass er zu sterben glaube. Obwohl schon einige Monate vergangen waren, konnten sich die Sanitäter gut an diesen Rettungseinsatz vom 9. November erinnern, nicht zuletzt wegen des Datums – auch sie hatten den Vorfall damit in Zusammenhang gebracht, dass an diesem Tag in Maryland das viel gepriesene neue Gesetz über Handfeuerwaffen in Kraft trat.
Am Ende befanden die Geschworenen in einem von Richterin Bothe geführten Prozess Warren Waddell des vorsätzlichen Mordes für schuldig, was in eine
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