Homicide
hatte den Eindruck, dass der Captain von seinen Untergebenen bedingungslose Loyalität verlangte, ihnen jedoch nicht das Gleiche gewährte. Das zeigte sich für ihn beispielsweise, als er Donald Worden in der unglückseligen Geschichte mit Larry Young im Regen stehen ließ, und er fühlte sich auch persönlich im Stich gelassen, als eine ganze Weile ein neuer Mord nach dem anderen ungeklärt blieb. Es war ein Verhalten, das der Lieutenant oft genug erlebt hatte.
Aber D’Addario hielt durch. Wer acht Jahre in einem Morddezernat eine führende Position eingenommen hat, ist notgedrungen ein Überlebenskünstler.Und nebenbei leitete er seine Schicht so, dass seine Leuten gute und manchmal sogar hervorragende Polizeiarbeit leisteten. Allerdings hatte D’Addario auch seinen Stolz, und irgendwann waren ihm die Kompromisse dann doch zu groß. Eines Tages im Jahr 1989, als D’Addario in den frühen Morgenstunden zu einem Schusswechsel mit Polizeibeteiligung ausrückte, hörte er, dass demnächst der Posten eines Lieutenant beim Sittendezernat frei werden würde. Je länger er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm die Vorstellung. Bei der Sitte winkten ihm eine feste Dienstzeit von 9 bis 17 Uhr, ein eigener Wagen und ein selbstständiges Kommando. Noch in derselben Woche ging er zum Colonel, und seinem Versetzungswunsch wurde umgehend entsprochen. Einen Monat später hatte das Morddezernat einen neuen Lieutenant für die Schicht gefunden – einen prima Kerl, fair und bei seinen Männern beliebt. Aber er trat in große Fußstapfen. Ein Detective fasste es lapidar zusammen: »Ein Dee ist er nicht.«
Jetzt, während dies geschrieben wird, ist D’Addario zum Leiter des Sittendezernats der Polizei von Baltimore aufgestiegen. Einer seiner besten Detectives dort ist Fred Ceruti, der immer noch einigen Groll wegen der Ereignisse des Jahres 1988 hegt, aber verspricht, dass er ins Morddezernat zurückkehren wird. »He!«, sagt er lächelnd, »ich bin noch jung.«
Offiziell gehört Harry Edgerton noch immer dem Morddezernat an, auch wenn es nicht so aussieht, wenn man die beiden vergangen Jahre betrachtet.
Ed Burns, der einzige Detective, den Edgerton jemals als Partner akzeptieren konnte, kehrte Anfang 1989 für kurze Zeit ins Morddezernat zurück, nachdem er zwei Jahre an einer groß angelegten Ermittlungsaktion des FBI gegen den Drogenring von Warren Boardley in der Sozialsiedlung Lexington Terrace beteiligt gewesen war. Boardley und seine Leute galten als die Hauptverantwortlichen des blutigen Territorialkriegs von 1986, der mit sieben unaufgeklärten Morden und vierzehn Schießereien zu Buche schlug. Als Resultat der Ermittlungen der Bundesbehörde wanderten die Haupttäter mit Haftstrafen zwischen zweimal »lebenslänglich« und achtzehn Jahren ohne Aussicht auf Bewährung ins Gefängnis. Nachdem Edgerton wegen Budgetstreitigkeitenzwischen der Bundesbehörde und der städtischen Polizei von diesen Ermittlungen abgezogen worden war, gab man ihm doch immerhin die Gelegenheit, zusammen mit Burns und anderen an den Razzien teilzunehmen, bei denen Boardley und seine Männer im November 1988 festgenommen werden konnten.
Fast unmittelbar nach Abschluss des Falls Boardley wurden Burns und Edgerton der Drug Enforcement Agency, der Antidrogenbehörde, zugeteilt, um an einer ausgedehnten Ermittlung gegen einen anderen brutalen Drogenhändlerring teilzunehmen. Linwood »Rudy« Williams war von Gerichten des Bundesstaats Maryland bereits zweimal wegen Mord, einmal wegen Besitz eines Maschinengewehrs und zweimal wegen diverser Drogendelikte angeklagt, jedoch nie verurteilt worden, als die DEA Mitte 1989 mit ihren Ermittlungen begann. Man verdächtigte ihn, im Gebiet von Baltimore allein in den Jahren 1989 und 1990 an vier Morden beteiligt gewesen zu sein. Im März verurteilte ein Bundesbezirksgericht Williams und sechs Mitangeklagte nach US-Bundesrecht wegen Verschwörung zur Bildung einer Drogenorganisation. Geleitet wurde diese sich über ein Jahr hinziehende Ermittlung von Ed Burns, und Edgerton war einer der beiden Hauptbelastungszeugen.
Im Lauf der Ermittlungen gegen Williams wurden unter Hinzuziehung einer Federal Grand Jury und weitgehend gestützt auf US-Bundesrecht Telefone und Wohnungen abgehört und Vermögensverhältnisse durchleuchtet. Angesichts des großen Erfolgs dieser Aktionen horchten sogar Harry Edgertons Kritiker im Morddezernat auf. Dass Rudy Williams nun in einem Bundesgefängnis schmorte, würde dem
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