Homicide
Räumlichkeiten der Feuerwehr von Canton. Mehr als einhundert aktive und ehemalige Detectives kommen dann zusammen, essen, trinken und schwelgen in Erinnerungen an so manches, was diese Männer getan und gesagt haben, die die besten Jahre ihres Lebens mit der Jagd auf Mörder verbrachten. Jimmy Oz, Howard Corbin, Rod Brandner, Jake Coleman – in ihnen allen ist die Erinnerung lebendig an den härtesten Job ihres Lebens. Nicht jeder, der dort sitzt, war ein großartiger Detective; einige zählten in ihrer aktivenZeit eher zu den mittelmäßigen. Doch selbst die Schlechtesten gehören einer ganz besonderen Bruderschaft an, die einen Teil ihres Lebens in den finstersten Gefilden der amerikanischen Gesellschaft durchgestanden hat.
Seltsamerweise reden sie nicht oft über konkrete Fälle, und wenn, dann bilden die Morde kaum mehr als den Hintergrund ihrer Geschichten. Viel lieber erzählen sie einander von Kollegen – über die Witze, die man immer am Tatort riss; über Dinge, die sie im Vorüberfahren durch die Windschutzscheibe eines Zivilfahrzeugs beobachteten; über einen tölpelhaften Colonel oder den einen legendären Staatsanwalt, der niemals aufgab, und vielleicht auch über diese langbeinige blonde Oberschwester im Hopkins, die junge, die eine Schwäche für Polizisten hatte. Was, zur Hölle, ist eigentlich aus ihr geworden?
Auf dem Jahrestreffen 1988 etwa erzählte man sich von Joe Segretti, der im Osten der Stadt bei den Sozialbauten von Waddy Courts einmal bei seiner Ankunft am Tatort dem Opfer den übergeworfenen Stofffetzen vom Kopf riss. Als er sah, dass sich darauf das Gesicht des Toten abgezeichnet hatte, erklärte er ihn zum Heiligen Grabtuch von Waddy. »Das Wunder von Baltimore!«, rief er seinem Partner zu. »Das müssen wir beim Papst melden.«
Eine andere Geschichte war die von Ed Halligan, einem früheren Partner von Terry McLarney, der einmal so betrunken war, dass ihm an einem regnerischen Tag auf dem Nachhauseweg die Akte eines noch offenen Falls in den Rinnstein fiel. Als McLarney Halligan am nächsten Morgen abholte, fand er sie fein säuberlich Blatt für Blatt auf dem Wohnzimmerboden zum Trocknen ausgelegt. Und jeder konnte sich noch gut an den legendären Jimmy Ozazewski, »Jimmy Oz«, erinnern, der nach der Aufklärung eines Red Ball in seinem Wohnzimmer im Hausrock pfeifeschmauchend Fernsehinterviews gab.
Sie denken auch an die Männer, die nicht mehr unter ihnen weilen, wie John Kurinij, den verrückten Ukrainer, der nie gelernt hatte, anständig zu fluchen. »Du dummes Sohn von eine Mutter!«, schrie er seine Verdächtigen an oder klagte, der Job sei »schwer wie Scheiße braun«. Bis dann Jay Landsman und Gary D’Addario zu Kurinijs Haus draußen im County gerufen wurden. Sein Holster und seine Marke waren ordentlich auf dem Tisch zurechtgelegt. Kurinij fanden sie im Badezimmerauf einer doppelt zusammengefalteten Badematte über der Wanne kniend, und sein Blut versickerte im Abfluss. Der Selbstmord eines Detectives, sauber und gut überlegt: Landsman brauchte nur den Wasserhahn aufzudrehen, um das Blut fortzuspülen, und schon hatte er die Kugel.
»Dieser verfluchte Kerl«, sagte D’Addario, als er sah, dass Landsman kurz davor war, die Fassung zu verlieren. »Er wusste, dass wir ihn so finden würden, als er abgedrückt hat.«
Geschichten aus der Schatzkammer des Präsidiums, unveröffentlichte Kapitel einer Chronik des Unheils, die keinen Anfang und kein Ende kennt. Im Jahr 1988 schrieben dreißig Detectives, sechs Sergeants und zwei Lieutenants einige neue, eigene Geschichten – Komödien und Tragödien, Dramen und Satiren –, die noch auf vielen Jahrestreffen die Runde machen werden.
Nach dem sprunghaften Anstieg der Aufklärungsquote musste sich Gary D’Addario keine ernsthaften Sorgen mehr um seinen Posten als Schichtlieutenant machen. Aber die Querelen des Jahres 1988 forderten trotzdem ihren Preis. Um sich und seine Männer zu schützen, musste D’Addario seine Vorgesetzten bei Laune zu halten. So trieb er seine Leute zu noch mehr Überstunden an, halste einigen Detectives zusätzliche Fälle auf und schrieb Eingaben, um in gewissen Fällen eine Wiederaufnahme der Ermittlungen zu erwirken. Das meiste davon konnte als lästiges, aber notwendiges Übel bezeichnet werden.
Das Verhältnis zwischen D’Addario und dem Captain war nie besonders gut gewesen, aber das Jahr 1988 zerstörte jede Illusion, dass sich daran irgendwann einmal etwas ändern würde. D’Addario
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