Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
schwächer wurde“, hatte Doktor Baader gesagt. „Maximal zwei Jahre, eher weniger. Eine Herztransplantation ist die einzige Möglichkeit, wir nehmen Leopold sofort in die Transplantationsliste auf.“
Er war zuerst überzeugt, dass sie eine Lösung finden würden. Sie holten zwei weitere Expertenmeinungen ein, aber diese bestätigten nur die Erstdiagnose. Erst kam die Verzweiflung, dann die Ohnmacht. Und dann das unerwartete Angebot. Er musste handeln. Er musste. Um seinen Sohn zu retten, hatte er den Auftrag zu einem Mord erteilt, eine andere Erklärung gab es nicht.
Für den Abend hatte er einen Termin mit einem Detektiv vereinbart, den ihm ein Freund empfohlen hatte. Er würde ihm den Auftrag erteilen, die Mörder seines Sohnes und des Spenders zu finden.
Zwischenbericht
Jakob stand mit einer Tasse Kaffee am Fenster der kleinen Kaffeeküche und schaute den ersten Schneeflocken zu, die gegen die Scheibe flogen und sich sofort in Wassertropfen verwandelten. Ich hab keine Lust auf Schnee, dachte er. Eine Bewegung hinter ihm riss ihn aus seinen Gedanken. Er drehte sich um und nickte Lisa zu, die sich gerade einen Kaffee einschenkte.
„Ich mag Schnee in der Stadt nicht, gibt immer nur einen Riesenmatsch. Hast du alles?“, fragte er.
„Ja, ist alles bereit. Tobias hat die Präsentation ganz ordentlich hinbekommen, bist du nervös?“
Er konnte ihr keine klare Antwort geben. Nervös? Eigentlich nicht, aber trotzdem spürte er eine gewisse Anspannung. Warum auch nicht? Immerhin war es sein erster Bericht vor den Kollegen. Er fand die Jours fixes, bei denen die Abteilungen ihre Ermittlungsarbeiten vorstellten, gut. Man erhielt einen Überblick, was gerade so lief, und es gab immer wieder interessante Diskussionen.
„Tobias kommt auch?“, fragte er Lisa.
„Ich habe ihm gesagt, dass er kommen kann, wenn er will. Ich nehme an, er wird die Gelegenheit nutzen, eine Pause zu machen.“
Er kannte Lisa inzwischen gut genug, um ihren Ton einschätzen zu können, und das hatte gerade nicht positiv geklungen. „Bist du nicht zufrieden mit Tobias?“
„Ja und nein. Er ist nett, sympathisch, pünktlich und zuverlässig. Das, was man ihm gibt, erledigt er. Er macht kaum Fehler. Er hat die vier wichtigsten Selbsthilfegruppen für Menschen, die auf Spenderorgane warten, schnell ausfindig gemacht und mir einen Account in den jeweiligen Gruppen-Chatrooms eingerichtet.“
„Aber?“
„Ich hab mehr erwartet. Er wird nicht von selbst aktiv. Ich habe das Gefühl, unsere Arbeit interessiert ihn null. Und ich bin davon ausgegangen, dass er ein Hacker ist.“
Jakob lächelte, er dachte an das Gespräch mit dem Leiter der IT-Abteilung. Tobias sei ein intelligenter und gewiefter Nutzer mit einem guten Gespür dafür, Freeware sowie alle mögliche Tipps und Tricks zu finden und sie einzusetzen, mehr aber nicht. Das größte Sicherheitsrisiko bei Tobias sei das unkontrollierte Downloaden und der Besuch spezieller Seiten, so hatte der IT-Kollege es diplomatisch formuliert.
„Mit anderen Worten, dir fehlt bei ihm eine gewisse kriminelle Energie?“, hakte er nach.
„Nenne es, wie du willst. Er ist okay, aber ich habe mehr erwartet.“
Er kam nicht mehr zum Antworten, die ersten Kollegen gesellten sich zu ihnen, mit einem Kaffee gingen sie schließlich weiter ins große Sitzungszimmer.
Es hatten sich neun Kollegen eingefunden, mit Tobias und Lisa hatte er elf Zuhörer. Illegaler Organhandel war als Thema kein Straßenfeger, das hatte er vorher schon gewusst. Von dem geringen Interesse der Kollegen war er aber doch enttäuscht, er hatte mit mindestens zwanzig Teilnehmern gerechnet. Anmerken ließ er sich das nicht. Er stellte zunächst ihren Auftrag und seine Abteilung vor, dann kam er zum Thema.
„Zum besseren Verständnis erst mal einige Informationen zur Geschichte und zu den Rahmenbedingungen. Organtransplantation ist ein äußerst komplexes und ethisch sehr heikles Thema.
Man unterscheidet heute vier Phasen in der Geschichte der Organtransplantation, die experimentelle Phase bis etwa 1900, die Stagnationsphase von 1900 bis 1950, den Neubeginn der Transplantationsmedizin von 1950 bis 1970 und schließlich seit 1970 die Transplantation als Standardtherapie.
Der Durchbruch gelang vor allem durch die parallele Entwicklung von Medikamenten, mit denen die Abstoßung des fremden Organs durch den Körper des Empfängers unterdrückt werden konnte. Heute sagen manche, dass die Transplantationsmedizin Opfer ihres eigenen
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