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Honeymoon

Titel: Honeymoon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Patterson
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war da nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Aber das war es eben: Schein und Wirklichkeit. Entweder hatte Nora nichts zu verbergen ... oder sie hatte alle an der Nase herumgeführt. Die Polizei. Ihre Freunde und Bekannten. Elizabeth Brown. Mein Gott – konnte sie tatsächlich dastehen und seelenruhig mit der Schwester des Mannes plaudern, den sie ermordet hatte?
    War Nora wirklich so überzeugend? So raffiniert? Was sie so gefährlich machte, war die Tatsache, dass ich es einfach nicht mit Sicherheit sagen konnte. Immer noch nicht.
    Ich wusste nur eines: Ich konnte es nicht erwarten, sie wiederzusehen.
    Ich schloss die Datei. Offensichtlich hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle. Ich musste etwas tun. Ich stand viel zu dicht am Feuer, die Hitze wurde allmählich unerträglich. Ich brauchte Abstand. Schalt mal einen Gang zurück, O'Hara. Wenigstens für ein paar Tage.
    Da kam mir eine Idee. Vielleicht war das eine Möglichkeit, meine Prioritäten wieder in Ordnung zu bringen. Ich wählte noch einmal Susans Nummer und sagte ihr, was ich vorhatte.
    »Ich brauche ein paar Tage Urlaub.«
79
    Am Mittwochnachmittag trat Nora im siebten Stock der psychiatrischen Klinik Pine Woods aus dem Aufzug. Sie trank den letzten Schluck aus ihrer Wasserflasche und warf sie in den Abfalleimer. Dann steuerte sie wie immer die Stationszentrale an, die allerdings an diesem Nachmittag offenbar nicht besetzt war. Keine Emily. Und auch keine Patsy. Was für ein passender Name übrigens. Überhaupt niemand.
    »Hallo?«, rief sie.
    Niemand antwortete. Sie hörte nichts als das Echo ihrer eigenen Stimme.
    Nora zögerte einen Moment, dann beschloss sie, einfach weiterzugehen. Nach so vielen Jahren hatte sie es ja wohl nicht mehr nötig, sich anzumelden.
    »Hallo, Mutter.«
    Olivia Sinclair hob den Kopf und sah ihre Tochter in der Tür stehen. »Hallo«, antwortete sie mit ihrem üblichen mechanischen Lächeln.
    Nora gab ihr einen Kuss auf die Wange und zog sich einen Stuhl ans Bett. »Na, wie geht's dir?«
    »Ich lese gern.«
    »Ja, richtig«, erwiderte Nora. Sie stellte ihre Handtasche ab, griff in die Plastiktüte, die sie mitgebracht hatte, und zog ein Exemplar des neuesten Patricia-Cornwell-Thrillers hervor. »Bitte sehr. Diesmal hab ich's nicht vergessen.«
    Olivia Sinclair nahm das Buch und strich langsam mit der flachen Hand über das Cover. Mit dem Zeigefinger fuhr sie die erhabenen Lettern des Titels nach.
    »Du siehst besser aus, Mom. Ist dir eigentlich klar, was du mir letztes Mal für einen Schrecken eingejagt hast?«
    Nora betrachtete ihre Mutter, die immer noch den Hochglanzeinband des Krimis fixierte. Natürlich war ihr das nicht klar. Die Mauern, die sie um ihre eigene Welt herum errichtet hatte, waren zu dick.
    Aber was Nora sonst bei jedem Besuch aufs Neue geschmerzt hatte, registrierte sie nun mit Erleichterung. Seit ihre Mutter den Anfall erlitten hatte, war sie das Gefühl nicht losgeworden, dass sie, Nora, daran schuld war. Ihre Tränen, ihr Gefühlsausbruch, der plötzliche Drang, ihre Sünden zu beichten – all die Dinge, die in diesem Krankenzimmer nun wirklich nichts verloren hatten –, mussten Olivias Reaktion ausgelöst haben. Je mehr Nora darüber nachdachte, desto sicherer war sie sich, dass es so gewesen sein musste.
    Jetzt glaubte sie das nicht mehr.
    Sie musste ihre Mutter ja nur anschauen – so geistesabwesend, so blind für alles, was um sie herum vorging –, um zu wissen, dass der Vorfall nichts mit ihr zu tun haben konnte. So sonderbar es sich anhörte: Wenn sie sich auch nur im Entferntesten hätte vorstellen können, dass sie für den Anfall ihrer Mutter verantwortlich gewesen war, dann wäre das ein Grund zur Hoffnung gewesen.
    »Ich glaube, das Buch wird dir gefallen, Mutter. Kay Scarpetta. Das nächste Mal sagst du mir, wie du es gefunden hast, okay?«
    »Ich lese gern.«
    Nora lächelte. Die restliche Zeit ihres Besuchs sprach sie nur noch über positive, erheiternde Themen. Gelegentlich sah ihre Mutter sie an, die meiste Zeit aber starrte sie nur auf den Bildschirm des ausgeschalteten Fernsehers.
    »Okay, ich glaube, jetzt pack ich's mal«, sagte Nora nach ungefähr einer Stunde.
    Sie sah, wie ihre Mutter nach dem Plastikbecher griff, der auf ihrem Nachttisch stand. Der Becher war leer.
    »Möchtest du ein bisschen Wasser?«, fragte Nora.
    Ihre Mutter nickte, und Nora stand auf, um ihr aus dem Krug einzuschenken.
    »Oh, der ist ja auch leer.« Nora nahm den Krug und ging damit ins Bad. »Bin

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