Hongkong 02 - Noble House Hongkong
daß Crosse Englisch, Französisch und etwas Arabisch – er sprach keine chinesischen Dialekte – lippenlesen konnte und daß er besonders gute Augen hatte.
»Sie hat jedenfalls nichts Geheimnisvolles an sich«, fügte Crosse hinzu.
»Ja, Sir.« Er sah, wie Crosse den Blick auf ihre Lippen richtete und ihre Konversation mit »anhörte«, und ärgerte sich, daß er dieses Talent nicht auch entwickelt hatte.
»Sie scheint eine Leidenschaft für Computer zu haben.« Crosse wandte sich wieder seinen Untergebenen zu. »Eigenartig, was?«
»Ja, Sir.«
»Was hat Weinkellner Feng gesagt?«
Brian unterrichtete ihn.
»Sehr gut. Ich werde dafür sorgen, daß Feng einen Bonus erhält. Ich hätte nicht erwartet, Langan und Rosemont hier zu sehen.«
»Könnte ein Zufall sein, Sir«, gab Brian Kwok zu bedenken. »Sie sind beide engagierte Rugbyspieler.«
»Ich halte nichts von Zufällen«, entgegnete Crosse. »Na schön. Vielleicht sollten Sie jetzt Ihren Pflichten nachgehen.«
»Ja, Sir.« Erleichtert wandten sich die beiden Männer zum Gehen, aber eine plötzliche Stille veranlaßte sie, den Schritt anzuhalten. Aller Blicke richteten sich an die Tür; dort stand Quillan Gornt, schwarzbärtig, mit schwarzen Augenbrauen, und sich offensichtlich der Tatsache bewußt, daß sein Erscheinen nicht unbemerkt geblieben war. Die anderen Gäste nahmen hastig ihre Gespräche wieder auf, wandten ihre Augen ab, spitzten aber ihre Ohren.
Crosse stieß einen leisen Pfiff aus. »Wozu ist der wohl gekommen?«
»Fünfzig zu eins, daß er nichts Gutes im Schilde führt«, antwortete Brian Kwok, der ebenso überrascht war.
Sie sahen, wie Gornt den Saal betrat und Dunross und Penelope die Hand entgegenstreckte. Claudia Tschen, die in der Nähe stand, fragte sich verzweifelt, wie sie jetzt in letzter Minute umgruppieren sollte, denn natürlich mußte Gornt an Dunross’ Tisch gesetzt werden.
»Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, daß ich es mir im letzten Moment überlegt habe«, sagte Gornt lächelnd.
»Keineswegs«, gab Dunross mit lächelndem Mund zurück.
»Guten Abend, Penelope. Ich hatte das Gefühl, ich müsse Ihnen meine Glückwünsche persönlich ausdrücken.«
»Oh, vielen Dank!« Ihr Lächeln war strahlend, aber ihr Herz schlug jetzt sehr schnell. »Ich … es hat mir leid getan wegen Ihrer Frau.«
»Danke.« Emelda Gornt hatte an Arthritis gelitten und war jahrelang an den Rollstuhl gefesselt. Zu Anfang des Jahres hatte sie Lungenentzündung bekommen und war gestorben. »Sie hat es sehr schwer gehabt«, sagte Gornt. Er sah Dunross an.
»Schlechter Joss auch mit John Tschen … Ich nehme an, Sie haben die Nachmittagsausgabe der Gazette gelesen?«
Dunross nickte. »Das reicht, um die Menschen in Todesangst zu versetzen«, sagte Penelope. Es entstand eine kleine Pause, und Penelope beeilte sich, sie auszufüllen.
»Ihren Kindern geht es gut?«
»Ja, danke. Annagrey geht im September an die University of California – Michael verbringt hier seine Sommerferien. Sie sind alle bestens in Form. Und Ihre?«
»Es geht ihnen gut. Ich wünschte, Adryon ginge auf die Universität. Du liebe Zeit, Kinder sind heute so schwierig, nicht wahr?«
»Ich glaube, das waren sie schon immer.« Gornt lächelte dünn. »Mein Vater hat immer wieder geklagt, wie schwierig ich sei.«
»Wie geht es ihm denn?« erkundigte sich Dunross.
»Er ist gesund und munter. Das englische Klima schlägt bei ihm gut an, sagt er. Zu Weihnachten kommt er.«
Gornt nahm ein Glas Champagner, das ihm angeboten wurde. »Auf ein schönes Leben, und meine besten Glückwünsche!«
Immer noch überrascht, daß Gornt gekommen war, erwiderte Dunross den Toast.
Wenn man Gornt und anderen Feinden des Hauses offizielle Einladungen geschickt hatte, so nur, um das Gesicht zu wahren und es nicht an Höflichkeit fehlen zu lassen.
Eine höfliche Absage war alles, was man erwartete – und Gornt hatte bereits abgesagt. Warum war er gekommen?
»Das ist ein schöner Raum, wunderbar proportioniert«, sagte Gornt. »Und ein prachtvolles Haus. Ich habe Sie immer um dieses Haus beneidet.«
Ja, du Saukerl, ich weiß, dachte Dunross wütend und erinnerte sich an das letzte Mal, daß ein Gornt Gast im Großen Haus gewesen war – 1953, vor zehn Jahren, als Colin Dunross, Ians Vater, noch als der Tai-Pan das Kommando führte. Es war bei Struan’s Weihnachtsparty, wie immer der größten Festlichkeit der Saison, gewesen; Quillan Gornt war mit seinem Vater William,
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