Hongkong 02 - Noble House Hongkong
inne. Auf dem Umschlag stand: »Mr. Philip Tschen, von ihm selbst zu öffnen.«
»Was ist denn?« fragte seine Frau.
»Es ist von ihnen.« Mit zitternden Händen zeigte er ihr den Brief. »Von den Werwölfen.«
»Oh!« Sie saßen an ihrem Eßtisch im Wohnzimmer des Hauses hoch auf der Kuppe von Struans Ausguck. Nervös setzte sie die Kaffeetasse nieder. »Mach es auf, Philip! Aber nimm dein Taschentuch … wegen der Fingerabdrücke!«
»Ja, ja natürlich, Dianne, wie dumm von mir!« Philip Tschen sah alt aus. Seine Jacke hing über dem Stuhl, und sein Hemd war feucht. Durch das offene Fenster hinter ihm kam eine leichte Brise, aber draußen war es heiß und dumpf. Mit einem elfenbeinernen Papiermesser schnitt er den Umschlag sorgfältig auf.
»Lies vor!«
»Ja, gut: ›An Philip Tschen, Comprador von Noble House, Grüße. Ich erlaube mir jetzt, Ihnen mitzuteilen, wie das Lösegeld zu zahlen ist. Für Sie sind 500.000 so unwichtig wie das Quieken eines Schweins im Schlachthaus, aber wir armen Bauern sähen ein kostbares Erbgut für unsere verhungernden Enkelkinder. Daß Sie sich schon mit der Polizei beraten haben, bedeutet uns so viel wie Pisse im Ozean. Aber jetzt werden Sie den Mund halten, sonst gefährden Sie die Sicherheit Ihres Sohnes.
Er wird nicht zurückkommen, und alles Schlimme wird Ihre Schuld sein. Denken Sie daran: Unsere Augen sind überall. Wenn Sie versuchen, uns hinters Licht zu führen, wird das Schlimmste geschehen. Heute um sechs rufe ich Sie an. Sagen Sie niemandem etwas! Nicht einmal Ihrer Frau. In der Zwischenzeit …‹«
»Dreckiges Triadengesindel! Dreckige Hurensöhne, die versuchen, Unfrieden zwischen Mann und Frau zu stiften«, unterbrach ihn Dianne zornig.
»›… Zwischenzeit bereiten Sie das Lösegeld in gebrauchten 100-Dollar-Noten vor …‹« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Ich habe nicht mehr viel Zeit, um in die Bank zu gehen. Ich muß …«
»Lies den Brief zu Ende!«
»Schon gut, meine Liebe«, versuchte er sie zu beschwichtigen. »Wo war ich? Ach ja.
›… 100-Dollar-Noten. Wenn Sie meine Anweisungen gewissenhaft befolgen, können Sie Ihren Sohn noch heute abend wiederhaben. Benachrichtigen Sie nicht die Polizei, und versuchen Sie auch nicht, uns eine Falle zu stellen! Wir beobachten Sie sogar in diesem Moment. Geschrieben vom Werwolf.‹« Er nahm seine Gläser ab.
Seine Augen waren müde und rotumrändert. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wollte John zurückhaben, ihn in Sicherheit wissen – ihn erwürgen.
»Ich … ich werde jetzt die Polizei anrufen.«
»Laß das! Laß das, bis wir wissen, was du zu tun hast! Geh jetzt zur Bank! Hol nur 200.000 – damit solltest du durchkommen. Wenn du mehr holst, könntest du in die Versuchung kommen, ihnen heute abend alles zu geben … Wenn es ihnen wirklich ernst ist.«
»Ja. Sehr klug. Damit könnten wir durchkommen …« Er zögerte. »Was machen wir mit dem Tai-Pan? Meinst du, ich sollte es ihm sagen, Dianne? Er … er könnte uns vielleicht helfen.«
»Ha!« rief sie verächtlich. »Was kann er uns schon groß helfen? Wir haben es mit hundemistigen Triaden zu tun, nicht mit betrügerischen fremden Teufeln.« Ihre Augen bohrten sich in die seinen. »Und jetzt solltest du mir endlich sagen, was wirklich los ist, warum du vorgestern abend so zornig warst und seitdem herumläufst wie ein Kater mit einem Dorn im Hintern und dich überhaupt nicht ums Geschäft kümmerst.«
»Ich habe mich doch ums Geschäft gekümmert«, verteidigte er sich.
»Wieviel hast du gekauft? Struan’s? Hast du daran gedacht, was der Tai-Pan uns von der kommenden Hausse gesagt hat? Und was der alce blinde Tung prophezeit hat?«
»Natürlich habe ich daran gedacht!« stammelte er. »Ich … ich habe unser Portefeuille heimlich verdoppelt und verschiedene Makler beauftragt, noch dazuzukaufen.«
Es schwindelte Dianne Tschen bei dem Gedanken an diese riesigen Gewinne und an den, den sie mit den auf eigene Rechnung gekauften Aktien machen würde. Aber sie verzog keine Miene, und ihre Stimme blieb kalt. »Und wieviel hast du gezahlt?«
»Im Durchschnitt 28,90.«
»Ha! Der Eröffnungskurs von Struan’s war 28,80«, sagte sie und zog mißbilligend die Nase hoch. »Du hättest heute früh auf der Börse sein sollen, statt hier herumzusitzen und Trübsal zu blasen.«
»Mir war nicht sehr gut, Liebste.«
»Das hängt alles mit vorgestern abend zusammen. Was hat dich so unglaublich wütend gemacht? Heya ?«
»Es
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