Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Penthouse, die persönliche Suite des Tai-Pan, und nur er besaß den Schlüssel zum letzten privaten Aufzug, der die Garage im Kellergeschoß direkt mit dem Penthouse verband.
»Ian«, hatte sein Vorgänger als Tai-Pan, Alastair Struan, zu ihm gesagt, als er ihm die Schlüssel überreichte, »deine Privatsphäre ist dein kostbarster Besitz. So wie die Suite des Tai-Pan sind auch diese Privataufzüge kein zum Vergnügen betriebener oder protziger Luxus. Sie sind da, um dir ein Mindestmaß an Geheimhaltung zu gewähren, vielleicht sogar einen Ort, wo du dich verstecken kannst. Du wirst das besser verstehen, nachdem du das Vermächtnis gelesen und den Safe des Tai-Pan geöffnet hast. Behüte diesen Safe mit allem, was du hast! Du kannst gar nicht zu vorsichtig sein, denn er enthält viele Geheimnisse, und manche sind nicht sonderlich hübsch.«
»Ich hoffe, ich werde nicht versagen«, gab er höflich zurück, obwohl er seinen Vetter verabscheute.
»Das wirst du nicht. Du nicht«, hatte der alte Mann steif erwidert. »Du wurdest geprüft, und du wolltest diesen Job schon als kleiner Junge haben. Stimmt’s?«
»Ja«, hatte Dunross zugegeben. »Ja. Ich bin nur überrascht, daß du ihn mir gegeben hast.«
»Du erhältst die höchste Position, die Struan’s zu vergeben hat, nicht aufgrund deines Geburtsrechtes – das hätte nur für den Inneren Kreis gereicht –, sondern weil du der Beste bist, den wir haben, um in meine Fußstapfen zu treten – und weil du seit Jahren intrigierst und rücksichtslos vorwärts strebst. So ist es doch?«
»Struan’s bedarf des Wechsels. Bleiben wir bei der Wahrheit: Mit Noble House sieht es übel aus. Es ist nicht alles deine Schuld – erst kam der Krieg, dann Korea, dann Suez –, du hast jahrelang schlechten Joss gehabt. Und es wird Jahre dauern, bis wir uns wieder sicher fühlen können. Wenn Quillan Gornt wüßte, wie angespannt unsere Lage ist, wir müßten innerhalb einer Woche in unseren eigenen wertlosen Papieren ersticken. Sie sind nur zwanzig Prozent wert, unser Eigenkapital reicht nicht aus, wir haben nicht genug Cashflow, und wir befinden uns ohne jeden Zweifel in tödlicher Gefahr.«
»Unsinn.«
»Unsinn?« Zum erstenmal verlieh Dunross seiner Stimme einen scharfen Ton.
»Rothwell-Gornt könnten uns in einem Monat schlucken, wenn sie den Wert unseren drängenden Verpflichtungen gegenüberstellen könnten.«
Stumm hatte der Alte ihn angestarrt. Dann sagte er: »Das ist ein vorübergehender Zustand. Saisonbedingt.«
»Dummes Zeug! Du weißt sehr gut, daß du mir den Job nur gibst, weil ich der einzige bin, der imstande ist, in diesem Saustall aufzuräumen, den ihr mir hinterlaßt: du, mein Vater und dein Bruder.«
»Ja, ich setze darauf, daß du dazu imstande bist, das muß ich zugeben.«
»Vielen Dank. Ich gebe zu, daß ich mich durch nichts aufhalten lassen werde. Und weil wir uns heute nacht schon so viele Wahrheiten ins Gesicht gesagt haben: Ich kann dir erklären, warum du mich immer haßtest, und warum mich auch mein eigener Vater gehaßt hat.«
»Kannst du das?«
»Ja. Weil ich den Krieg überlebt habe, und dein Sohn nicht. Und weil dein Neffe Linbar, der letzte deines Zweiges der Struans, ein netter, aber unnützer Junge ist. Ja, ich habe überlebt, meine armen Brüder nicht, und diese Tatsache macht meinen Vater immer noch rasend. Das ist die Ursache, nicht wahr?«
»Ja«, hatte Alastair Struan zugegeben. »Ja, ich fürchte, das ist sie.«
»Ah, Tai-Pan«, begrüßte ihn Claudia Tschen, als sich die Aufzugstür öffnete. Die lustige grauhaarige Eurasierin, Mitte Sechzig, saß hinter einem enormen Schreibtisch, der die Vorhalle des einundzwanzigsten Stockwerks beherrschte. Sie diente Noble House seit zweiundvierzig Jahren, davon die letzten fünfundzwanzig den jeweiligen Tai-Panen. » Neh höh mäh? Wie geht es Ihnen?«
» Ho ho « , antwortete er zerstreut. »Gut.« Dann auf Englisch: »Hat Bartlett angerufen?«
»Nein.« Sie runzelte die Stirn. »Er wird erst zum Lunch erwartet. Soll ich versuchen, ihn zu erreichen?«
»Nein, lassen Sie nur! Was macht mein Gespräch mit Foster in Sydney?«
»Ist noch nicht gekommen. Auch nicht das Gespräch mit Mr. MacStruan in Edinburgh. Haben Sie Sorgen?«
»Was? Ach nein, nichts.« Es gelang ihm, seine Spannung zu überwinden. Er ging an ihrem Schreibtisch vorüber in sein Büro, das Aussicht auf den Hafen gewährte, und ließ sich in einen Lehnsessel neben dem Telefon fallen. Sie schloß die Tür,
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