Hongkong 02 - Noble House Hongkong
es dir doch schon gesagt«, wimmerte die Alte. »Bitte, kann ich jetzt gehen?«
»Sag es uns noch einmal, und dann kannst du gehen!«
»Also gut … Sie gehörte meiner Herrin, die sie mir auf dem Totenbett gab. Sie gab sie mir, ich schwöre es. Es war … es war, als sie starb … ich erinnere mich nicht.«
Die Lippen der alten Frau bewegten sich, aber es kam kein Ton heraus, doch dann sprudelte sie plötzlich hervor: »Ich nahm sie an mich und versteckte sie, nachdem sie gestorben war. Und da waren diese alten Fotografien … Ich hatte kein Bild von meiner Herrin, und darum nahm ich die auch und einen Silbertael, mit dem ich einen Teil meiner Reise nach Hongkong bezahlte – während der Hungersnot. Ich nahm sie, weil keines ihrer Kinder, die sie und mich haßten, mir etwas geben wollte … Sie gab sie mir, bevor sie starb, und ich habe sie versteckt, aber sie gehört mir, sie gab sie mir …«
Sie hörten zu, während die Alte redete und redete. Die Wanduhr zeigte auf ein Viertel vor vierzehn Uhr. Sie verhörten sie seit einer halben Stunde. »Das reicht vorderhand, Wu. In drei Stunden nehmen wir sie uns noch einmal vor, nur um sicherzugehen. Aber ich glaube, sie hat uns alles gesagt.« Schwerfällig griff Armstrong zu einem Telefon und wählte. »Armstrong. Sie können sie jetzt holen und in ihre Zelle bringen. Kümmern Sie sich darum, daß sie alles hat, was sie braucht, und lassen Sie sie noch einmal vom Arzt untersuchen!« Es gehörte beim SI zur Routine, daß Häftlinge vor und nach einem Verhör untersucht wurden.
Wenige Augenblicke später sahen sie, wie sich die weiße Tür öffnete. Eine uniformierte Polizistin winkte Ah Tam freundlich mitzukommen. Die alte Frau schlurfte hinaus. Armstrong löschte die Lichter und drückte auf die Bandrückspultaste. Wu trocknete sich die Stirn.
»Gut gemacht, Wu! Sie haben eine schnelle Auffassungsgabe.«
»Danke, Sir!«
Das Tonbandgerät schnurrte. Armstrong beobachtete es still. Er nahm das Band heraus. »Wir registrieren das Datum, die genaue Zeit und die Dauer des Verhörs und verwenden eine Codebezeichnung für den Verdächtigen, um Sicherheit und Geheimhaltung zu gewährleisten.« Er schlug in einem Buch nach, fand eine Nummer, vermerkte sie auf dem Band und begann, ein Formular auszufüllen. »Dieses Formular unterschreiben wir als Vernehmungsoffiziere und setzen Ah Tams Codename hier ein – V-n-3. Das ist streng geheim und wird in diesem Safe abgelegt.« Seine Augen blickten streng. »Ich wiederhole: Denken Sie immer daran, daß im SI alles streng geheim ist – so auch alles, was Sie heute erlebt haben!«
»Ja, Sir. Ja, Sie können sich auf mich verlassen.«
»Und denken Sie auch daran, daß der SI nur sich selbst, dem Gouverneur und dem Minister in London verantwortlich ist! Ausschließlich. Für SB oder SI existieren weder englische Gesetze noch Fairplay noch die üblichen Rechtsansprüche: Habeas corpus, öffentliche Verhandlung, Berufungen. Es gibt keine Verhandlung, keine Berufung, nur einen Deportationsbefehl nach der Volksrepublik China oder nach Taiwan. Verstanden?«
»Ja, Sir. Ich möchte zum SI, Sir, darum können Sie mir glauben. Ich gehöre nicht zu denen, die Gift trinken, um ihren Durst zu löschen«, versicherte Wu voller Hoffnung.
»Gut. Die nächsten paar Tage haben Sie Ausgangssperre. Sie dürfen das Präsidium nicht verlassen.«
Wu blieb der Mund offenstehen. »Aber Sir, mein … Ja, Sir.«
Armstrong führte ihn hinaus und sperrte die Tür hinter ihm ab. Den Schlüssel und das Formular übergab er einem Kontrollbeamten. »Das Band behalte ich vorläufig. Den Empfang habe ich schon bestätigt. Sie kümmern sich um Constabler Wu? Er ist für ein paar Tage unser Gast. Er hat uns sehr, sehr geholfen.«
»Ja, Sir.«
Er ging zum Aufzug. Den süßlich-widerwärtigen Geschmack nahenden Unheils im Mund, stieg er in seinem Stockwerk aus. SI-Verhöre waren ihm verhaßt. Er verabscheute sie, obwohl sie gut funktionierten und fast immer erfolgreich waren. »Verdammt gefährliches Spiel, wenn man mich fragt«, murmelte er, den schalen, modrigen Geruch der Polizeizentrale in der Nase, während er den Gang hinunterschritt.
Er haßte Crosse und den SI, doch noch immer wallte sein Blut, wenn er an das dachte, was er entdeckt hatte. Seine Tür stand offen. »Tag, Brian«, begrüßte er ihn und schloß sie hinter sich. Brian Kwok hatte seine Beine auf dem Schreibtisch und las eine der kommunistischen Morgenzeitungen. »Was gibt’s
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