Hongkong 02 - Noble House Hongkong
und von der ›Hexe‹?«
»Peter Marlowe hat uns einige Geschichten erzählt.«
»Wenn du etwas über das wirkliche Hongkong wissen willst, solltest du mit Tantchen Helles Auge sprechen – das ist Sarah Tschen, Philip Tschens blitzgescheite Tante. Sie sagt, sie sei achtundachtzig, aber ich halte sie für älter. Ihr Vater war Sir Gordon Tschen, Dirk Struans illegitimer Sohn, und ihre Mutter die berühmte Schönheit Karen Yuan.«
»Wer ist die nun wieder?«
»Karen Yuan war Robb Struans Enkelin. Robb war Dirks Halbbruder. Seine Geliebte hieß Yau Ming Soo, und mit ihr hatte er eine Tochter, Isobel. Diese Isobel heiratete John Yuan, einen illegitimen Sohn Jeff Coopers. John Yuan wurde ein bekannter Seeräuber und Opiumschmuggler und Isobel eine notorische Spielerin. Ihre Tochter Karen heiratete Sir Gordon Tschen – eigentlich war sie seine zweite Frau, eher eine Art Konkubine, obwohl sie legal geheiratet hatten. Noch heute kann man hier als Chinese so viele Frauen haben, wie man mag.«
»Das ist aber sehr praktisch.«
»Für einen Mann!« Orlanda lächelte. »Hier in Hongkong ist es auch üblich, daß Kinder den Namen ihrer Mutter annehmen, zumeist eines unbedeutenden Mädchens, das von ihren Eltern ins Bett eines reichen Mannes verkauft wurde.«
»Von den Eltern?«
»Fast immer. › Tung t’ien yu ming ‹ – Lausche dem Himmel und nimm dein Schicksal hin! Vor allem, wenn du am Verhungern bist.«
»Wieso weißt du soviel über die Struans und Coopers und ihre Mätressen?«
»Irgendwie ist Hongkong wie eine Kleinstadt, und wir alle lieben Geheimnisse, aber wirkliche Geheimnisse gibt es hier nicht. Die Insider, die echten Insider, wissen fast alles von den anderen. Und vergiß nicht, daß Familien wie die Tschens oder die Yuans Eurasier sind! Wie ich dir schon sagte: Eurasier heiraten Eurasier, und darum sollten wir wissen, wo wir herkommen. Weder die Briten noch die Chinesen wollen uns als Ehepartner haben, nur als Mätressen oder Liebhaber.« Sie nippte an ihrem Wein, und wieder bezauberte ihn ihre Anmut und die Eleganz ihrer Bewegungen.
»Bei den Chinesen ist es Brauch, ihre Genealogien im Gemeindebuch aufzeichnen zu lassen. Das ist ihre einzige gesetzliche Basis; Geburtszeugnisse haben sie nie gekannt.« Sie lächelte zu ihm auf. »Um auf deine Frage zurückzukommen: Sowohl Dunross wie Gornt würden deine Kapitalbeteiligung begrüßen, und du würdest in jedem Fall Gewinne erzielen – wenn du damit zufrieden wärst, als stiller Teilhaber zu fungieren.«
Nachdenklich ließ Bartlett seine Augen über das Lichtermeer schweifen. Sie wartete geduldig. Ich bin sehr froh, dachte sie, daß Quillan wieder einmal recht gehabt hat! In Tränen aufgelöst, hatte sie ihn am Vormittag angerufen um ihm über ihr Zusammentreffen mit Bartlett zu berichten, und: »Oh Quillan, ich glaube, ich habe allesverpatzt …«
»Ich denke, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Orlanda. Wenn nicht heute abend, so morgen.«
»Bist du sicher?«
»Ja. Und jetzt trockne deine Tränen und hör mir zu!« Dann hatte er ihr gesagt, wie sie sich verhalten und was sie anziehen sollte. »Und vor allem: Sei eine Frau!«
Ach, wie froh bin ich doch, eine Frau zu sein, dachte sie und erinnerte sich wehmütig der alten Zeiten, als sie mit Gornt glücklich gewesen war und wie er ihr einmal auf einer mitternächtlichen Spazierfahrt auf seiner Jacht gepredigt hatte: »Du bist eine Frau und eine Hongkongyon. Wenn du ein schönes Leben haben und dich sicher fühlen willst, sei weiblich!«
»Wie meinst du das, Liebster?«
»Denk nur an meine Befriedigung und mein Vergnügen! Gib mir Leidenschaft, wenn ich sie brauche, Ruhe, wenn ich sie brauche, und immer Fröhlichkeit – und wahre stets Diskretion! Koche als Gourmet, bilde dich zu einer Kennerin guter Weine, bewahre stets mein Gesicht und nörgle nie!«
»Aber das klingt sehr einseitig, Quillan.«
»Natürlich. Dafür erfülle ich deine Erwartungen mit der gleichen Passion. Aber das ist es, was ich von dir haben will, das und kein Jota weniger. Du wolltest meine Geliebte sein. Du warst von Anfang an mit allem einverstanden.«
»Ich weiß, und ich genieße es, deine Geliebte zu sein, aber manchmal habe ich Angst vor der Zukunft.«
»Ach, mein Schätzchen, das brauchst du nicht. Du weißt, was wir ausgemacht haben. Vorausgesetzt, du willst es so haben, erneuern wir unser Arrangement jedes Jahr, bis du vierundzwanzig bist. Wenn du mich dann verlassen willst, bekommst du die Wohnung,
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