Hongkong 02 - Noble House Hongkong
geschickt wurde – bis dahin war ich in meinem ganzen Leben nur zweimal aus London herausgekommen – an die See. Ich wurde auf einen wunderschönen, alten Herrensitz in Hampshire evakuiert, er hieß Byculla, und die anderen Mädchen kamen alle aus Eliteschulen. Das Ganze war eine Verwechslung, Ian, meine Schule kam woanders hin, nur ich kam nach Byculla, und erst dort wurde mir klar, daß ich anders redete. Du hast ja keine Ahnung, wie furchtbar das für mich junges Mädchen war, als ich herausfand, daß ich ›aus dem Volke‹ kam und daß es so gewaltige Unterschiede in England gibt.
Wie hart arbeitete ich daran, es den anderen gleichzutun! Sie halfen mir dabei, und es gab auch eine Lehrerin, die besonders nett zu mir war. Ich stürzte mich in das neue Leben, ihr Leben, und ich schwor mir, nie wieder zurückzugehen, nie, nie, nie, und ich werde es auch nicht. Aber ich kann dich nicht heiraten, Liebling, ich werde nie gut genug für dich sein. Wir können auch so zusammenleben.«
Aber dann hatten sie doch geheiratet. Oma Dunross hatte sie überredet. Ich bin ein Glückspilz, dachte Dunross. Sie ist die beste Frau, die ein Mann sich wünschen kann.
Seit er am frühen Morgen vom Rennplatz gekommen war, hatte er durchgearbeitet.
Ein halbes Hundert Telegramme, Dutzende von Telefongesprächen. Um halb zehn hatte er den Gouverneur angerufen und ihm von Tiptops Vorschlag berichtet. »Ich muß mit dem Minister sprechen«, hatte Sir Geoffrey gesagt. »Aber ich kann ihn frühestens heute nachmittag um vier anrufen. Das muß streng vertraulich bleiben, Ian. Ach, du liebe Zeit, es muß ihnen ja sehr viel an Brian Kwok liegen!«
»Vielleicht ist es auch nur eine Bedingung mehr, die sie uns stellen, bevor sie uns das Geld geben.«
»Ich fürchte, Ian, der Minister wird einem Handel nicht zustimmen.«
»Und warum nicht?«
»Die Regierung Ihrer Majestät könnte darin einen Präzedenzfall erblicken.«
»Das Geld ist für uns von entscheidender Bedeutung.«
»Das Geld ist nur ein temporäres Problem. Bedauerlicherweise haben Präzedenzien oft eine sehr lange Lebensdauer. Waren Sie auf dem Rennplatz? Sind die Pferde in Form?«
»In bester Kondition. Alexei Travkin sagt, Pilot Fish ist unser großer Gegner. Noble Star ist großartig, aber er ist noch nie auf schwerem Boden gelaufen.«
»Was meinen Sie, wird es regnen?«
»Ja, aber vielleicht haben wir Glück, Sir.«
»Wir wollen es hoffen. Es sind schwere Zeiten, Ian. Ob sie uns geschickt sind, um uns zu prüfen? Gehen Sie zu John Tschens Beerdigung?«
»Ja, Sir.«
»Ich auch. Der arme Kerl …«
Bei der Beerdigung hatte Dunross freundliche Worte für John Tschen gefunden – um das Gesicht des Hauses Tschen zu wahren und das aller Vorfahren Tschens, die dem Noble House so lange und so aufopfernd gedient hatten.
»Danke, Tai-Pan«, hatte Philip Tschen gemurmelt. »Und: Ich bedaure es zutiefst.«
Später sagte Dunross zu Philip Tschen: »Dein Bedauern hilft uns nicht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, die dein Sohn und du uns geknüpft haben. Oder mit dem verdammten Vierfinger und der Halbmünze fertigzuwerden.«
»Ich weiß, ich weiß«, hatte Philip Tschen gestöhnt und die Hände gerungen. »Ich weiß, und wenn wir die Aktien nicht zurückbekommen, sind wir alle erledigt. Ich habe gekauft und gekauft, und jetzt sind wir ruiniert.«
»Wir haben das Wochenende«, hatte Dunross scharf erwidert. »Jetzt hör mir mal zu, verdammt noch mal! Du wirst jeden Gefallen einfordern, den man dir schuldet. Bis Sonntag um Mitternacht will ich Lando Matas und Knauser Tungs Unterstützung haben. Mindestens 20 Millionen.«
»Aber, Tai-Pan …«
»Wenn ich das Sonntag bis Mitternacht nicht habe, erwarte ich bis Montag neun Uhr früh dein Abschiedsgesuch auf meinem Schreibtisch. Du bist nicht mehr Comprador, dein Sohn Kevin ist draußen, ebenso deine ganze Familie, und ich werde einen neuen Comprador aus einer anderen Familie bestellen.«
Jetzt holte er tief Atem. Er empfand es als unerträglich, daß Philip Tschen und John Tschen – und wahrscheinlich Jacques deVille – sein Vertrauen mißbraucht hatten.
Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Heute schmeckte er ihm nicht. Ein Anruf nach dem anderen war gekommen, Fragen in bezug auf den drohenden Krach an der Börse, zur Situation der Banken. Havergill, Johnjohn, Richard Kwang. Nichts von Knauser Tung oder Lando Mata oder Murdagh. Das einzig Erfreuliche war ein Gespräch mit David MacStruan in Toronto. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher