Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Wu. Das Mädchen ist Venus Poon, ein hier recht bekannter Fernsehstar. Der junge Mann, mit dem sie sprechen, ist sein Neffe – Gerüchten zufolge sein Sohn. Der Bursche hat in Harvard an der Handelsschule studiert, besitzt einen amerikanischen Paß und ist blitzgescheit. Der alte Vierfinger Wu ist ebenfalls Millionär. Er soll ein Schmuggler sein, Gold und weiß Gott, was noch alles, hat eine Frau und drei Konkubinen – jetzt ist er hinter Venus Poon her. Sie war Richard Kwangs Geliebte. War. Vierfinger Wu lebt auf einer morschen alten Dschunke in Aberdeen und mehrt seinen Reichtum. Da, sehen Sie mal! Der runzelige alte Herr und die Dame, mit denen der Tai-Pan sich unterhält. Das ist Shiteh Ttschung. Durch ihren Sohn Duncan ist er ein direkter Nachkomme von Dirk und May-may. Hat Ihnen der Tai-Pan schon Bilder von Dirk gezeigt?«
»Ja.« Sie fröstelte leicht, als sie an das Messer dachte, das »die Hexe« durch das Bild ihres Vaters, Tyler Brock, gestoßen hatte. »Die Ähnlichkeit ist frappant.«
»Nicht wahr? Ich wünschte, ich könnte mir einmal die Galerie des Tai-Pan ansehen … Jedenfalls, dieses alte Ehepaar wohnt in einer Zweizimmerwohnung im sechsten Stock einer Mietskaserne drüben in Glessing’s Point. Sie besitzen ein riesiges Paket Struan’s-Aktien, und jedes Jahr, vor der Jahresversammlung, muß der Tai-Pan, wer immer es ist, mit dem Hut in der Hand hingehen und ersuchen, das Stimmrecht für sie ausüben zu dürfen. Es wird ihm immer gewährt, denn so lautet die ursprüngliche Abmachung, aber er muß persönlich darum ersuchen.«
»Und warum das?«
»Gesicht. Und wegen der ›Hexe‹.« Der Hauch eines Lächelns. »Sie war eine bedeutende Persönlichkeit. Während des Boxerkrieges im Jahre 1900, als China wieder einmal in eine militärische Auseinandersetzung verwickelt war, wurden die Besitzungen von Noble House in Peking, Tientsin, Futschou und Kanton von den Aufständischen verwüstet, die von der alten Kaiserin Ts’ehi mehr oder weniger finanziert und zweifellos gefördert wurden. Sie nannten sich ›Die sehr Aufrechte und Harmonische Gesellschaft der Faust, der Gerechtigkeit und der Eintracht‹ und ihr Schlachtruf lautete: ›Schützt China und tötet alle fremden Teufel!‹ Seien wir ehrlich: Die europäischen Mächte und Japan hatten versucht, China wie Schnitten einer Melone unter sich aufzuteilen. Jedenfalls fielen die Boxer über alle ausländischen Handelshäuser, Siedlungen und ungeschützten Gebiete her und zerstörten sie. Das Noble House befand sich in großen Schwierigkeiten. Der nominelle Tai-Pan war damals wieder der alte Sir Lochlin Struan, Robb Struans letzter Sohn. Nach Culum wurde er Tai-Pan. ›Die Hexe‹ hatte ihn eingesetzt, als er achtzehn war, unmittelbar nach Culums Tod – und dann ein zweites Mal nach Dirk Dunross. Er stand unter ihrem Pantoffel, bis er 1915 im Alter von zweiundsiebzig starb.«
»Woher haben Sie alle diese Informationen, Peter?«
»Ich denke sie mir eben aus«, antwortete er mit Grandezza. »›Die Hexe‹ brauchte also viel Geld, und sie brauchte es schnell. Gornts Großvater hatte eine Menge Wechsel von Struan’s in seinen Besitz gebracht und ihr das Messer an die Kehle gesetzt. Es gab keine normale Finanzierungsmöglichkeit, denn ganz Asien war in Aufruhr.
Aber der Vater dieses alten Herrn, mit dem der Tai-Pan jetzt spricht, das war der König der Bettler von Hongkong. Betteln war damals hier ein großes Geschäft. Der Mann kam also und sagte, sehr würdevoll: ›Ich bin gekommen, um ein Fünftel von Noble House zu erwerben. Wollt Ihr mir diesen Anteil verkaufen? Ich biete Euch 200.000 Taels Silber‹ – genau die Summe, die sie brauchte, um ihre Wechsel einzulösen. Um das Gesicht zu wahren, begannen sie zu feilschen, und er gab sich mit lächerlichen zehn Prozent zufrieden. Beide wußten, daß er für den gleichen Betrag dreißig oder gar vierzig Prozent hätte haben können, denn ›die Hexe‹ befand sich in einer verzweifelten Lage. Er verlangte keinen Vertrag; nur ihren Chop und das Versprechen, daß sie oder der Tai-Pan einmal im Jahr ihn oder seine Nachkommen besuchen werde, um das Stimmrecht für die Aktien zu erbitten.
›Aber warum, Ehrenwerter König der Bettler? Warum rettet Ihr mich vor meinen Feinden?‹ fragte sie.
›Weil Euer Großvater, der alte Grünäugige Teufel, einst meines Großvaters Gesicht rettete und ihm half, König der Bettler zu werden.‹«
Casey sah ihn an. »Glauben Sie das wirklich,
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