Hongkong 02 - Noble House Hongkong
auseinandergebrochenen chinesischen Bronzemünze waren mit Siegellack an das dicke Deckblatt geheftet. Offenbar waren es einst vier solche halben Münzen gewesen, denn noch waren die Druckstellen der fehlenden zwei und die Spuren des gleichen roten Siegelwachses auf dem alten Papier deutlich zu sehen. In gestochener Handschrift stand am Kopf der Seite zu lesen:
»Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, daß ich dem, der mir die andere Hälfte einer dieser Münzen vorlegt, geben werde, was er verlangt.« Das Gelöbnis war am 10. Juni 1841 von Dirk Struan unterzeichnet worden, und nach ihm hatten Culum Struan und alle anderen Tai-Pane unterschrieben; der letzte Name war der von Ian Dunross.
Neben der ersten Stelle, wo früher eine Münze geklebt hatte, stand geschrieben:
»Wu Fang Tschoi, zum Teil ausgezahlt am 16. August im Jahre des Herrn 1841«, und darunter: »Voll ausgezahlt am 18. Juni 1845.« Auch dies von Dirk Struan unterschrieben und von Culum Struan gegengezeichnet. Und neben dem zweiten freien Platz: »Sun Tschen-yat, voll ausgezahlt 10. Oktober 1911«, kühn unterfertigt von der »Hexe« Struan.
Ach, sagte sich Dunross, welch allerliebste Impertinenz – seiner so sicher zu sein angesichts zukünftiger Generationen, so und nicht als Tess Struan zu unterzeichnen! Wie viele Generationen werden mir noch folgen? fragte er sich. Wie viele Tai-Pane werden noch blind unterschreiben und einen heiligen Eid leisten müssen, nach der Pfeife eines Mannes zu tanzen, der seit fast einhundertfünfzig Jahren tot ist? Nachdenklich strich er mit dem Finger über die ausgezackten Ränder der zwei halben Münzen. Dann schloß er die Bibel, legte sie zurück und versperrte den Safe. Er ließ das Gemälde wieder an seinen Platz gleiten und starrte zu ihm hinauf.
Dieses Gemälde von Dirk Struan war sein Lieblingsbild. Als er Tai-Pan geworden war, hatte er es aus der Galerie holen und auf diesen Ehrenplatz hängen lassen statt Tess Struans Porträt, das im Arbeitszimmer des Tai-Pan gehangen hatte, seitdem das Große Haus existierte. Beide Bilder waren Werke Aristoteles Quances. Auf diesem stand Dirk Struan vor dem Hintergrund eines karminroten Vorhangs: breitschultrig und arrogant, glatt rasiert, mit rötlichem Haar, Hammelkoteletten und sinnlich geschwungenen Lippen. Das leuchtende Grün seiner Augen zog jeden Betrachter in seinen Bann.
Die Augen starrten ihn an.
Was würdest du jetzt tun, Dirk?
»Du würdest wahrscheinlich sagen: ›Finde die Verräter und töte sie‹«, gab er sich selbst laut die Antwort, »und vermutlich hättest du recht.«
Das Problem des Verräters in der Polizei erschien ihm nicht so brisant wie die Information über den Agentenring Sevrin, dessen Verbindungen mit den Vereinigten Staaten, und die erstaunlichen geheimen Gewinne, die von den Kommunisten in Großbritannien erzielt worden waren. Wo, zum Teufel, nahm Grant alle seine Informationen her? fragte er sich jetzt schon zum hundertsten Mal.
Er dachte an ihre erste Begegnung. Alan Medford Grant war ein kleiner, schalkhafter Mann mit schütterem Haar, großen Augen und prächtigen Zähnen, in adrettem Nadelstreifenanzug und Melone. Er gefiel ihm vom ersten Augenblick an.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Dunross«, hatte Grant ihn beruhigt, als Dunross ihn, kurz nachdem er Tai-Pan geworden war, unter Vertrag nahm. »Ich versichere Ihnen, daß es keinen Interessenkonflikt mit der Regierung Ihrer Majestät gibt, wenn ich den Vorsitz Ihrer Arbeitsgruppe auf der nicht exklusiven Basis übernehme, die wir festgelegt haben. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe das mit den betreffenden Stellen bereits abgesprochen. Sie bekommen von mir nur Geheimmaterial, das meiner Meinung nach die nationalen Interessen in keiner Weise gefährdet. Schließlich haben wir ja die gleichen Interessen, nicht wahr?«
»Ich denke schon.«
»Darf ich fragen, wie Sie auf mich gekommen sind?«
»Unter unseren gemeinsamen Freunden befinden sich hochgestellte Persönlichkeiten, Mr. Grant. In gewissen Kreisen haben Sie einen ausgezeichneten Namen. Vielleicht würde sogar ein Außenminister Sie empfehlen«, fügte er listig hinzu. »Sagt Ihnen unsere Vereinbarung zu?«
»Ja – ein Probejahr und dann weitere fünf, wenn alles zu Ihrer Zufriedenheit läuft.«
»Und nach den fünf Jahren?«
»Weitere fünf«, hatte Dunross geantwortet. »Wenn wir die Resultate erzielen, die ich erwarte, werden wir Ihr Pauschalhonorar verdoppeln.«
»Das ist sehr großzügig, aber darf
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