Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Er nippte an dem Drink, den Dunross ihm nachgeschenkt hatte. »Das ist ein wunderbarer Whisky, Mr. Dunross.«
»Es ist ein Loch Vey – er kommt aus einer kleinen Brennerei in der Nähe unseres Besitzes in Ayr. Sie gehört Struan’s.«
»Wunderbar!« Noch ein genießerischer Schluck, und Dunross nahm sich fest vor, Alan Medford Grant zu Weihnachten eine Kiste zu schicken – wenn die ersten Berichte seine Erwartungen erfüllen sollten. »Ich bin kein Fanatiker, Mr. Dunross, ich bin nur eine Art Reporter und Hersteller von Prognosen. Manche Leute sammeln Briefmarken, ich sammle Geheimnisse …«
Die Scheinwerfer eines Autos, das die halb versteckte Straßenbiegung entlangfuhr, lenkten Dunross vorübergehend ab. Er setzte sich in einen Lehnsessel und überließ sich wieder seinen Gedanken. O ja, Mr. Grant, Sie sammeln tatsächlich Geheimnisse, dachte er, wie immer verblüfft durch das enorme Wissen des kleinen Mannes.
Sevrin – allmächtiger Gott! Wenn das wahr ist …
Wie genau treffen deine Informationen diesmal zu? Wie weit darf ich dir vertrauen? Wieviel kann ich aufs Spiel setzen?
In früheren Informationsbriefen hatte Grant zwei Entwicklungen vorausgesehen, die tatsächlich eingetroffen waren. Ein Jahr zuvor hatte er angekündigt, daß de Gaulle Großbritanniens Bemühungen, der EWG beizutreten, eine Abfuhr erteilen, daß er eine zunehmend antibritische, antiamerikanische und prosowjetische Haltung einnehmen und daß er, von einem seiner engsten Mitarbeiter – einem exzeptionell gut getarnten KGB-Maulwurf – ermuntert, mit einer Goldspekulation einen langfristigen Angriff gegen die Wirtschaft der Vereinigten Staaten richten werde.
Dunross hatte diese Prognose als zu weit hergeholt abgetan – und so ein potentielles Vermögen verloren.
Kürzlich erst, sechs Monate vorher, hatte Grant die Kubakrise vorhergesehen: daß Kennedy den Fehdehandschuh hinknallen, Kuba blockieren, den notwendigen Druck ausüben und vor einer Politik am Rand des Abgrunds nicht zurückschrecken und daß Chruschtschow nachgeben werde. Dunross hatte sich darauf verlassen, daß Grant recht behalten würde, obwohl eine Kubakrise wegen stationierter Raketen zu diesem Zeitpunkt höchst unwahrscheinlich schien. Er hatte Termingeschäfte auf Hawaii-Zucker abgeschlossen, damit eine halbe Million Pfund für Struan’s verdient und die Grundlagen für einen langfristigen Plan geschaffen, in Zuckerplantagen auf Hawaii zu investieren, sobald er das nötige finanzielle Instrument gefunden hatte.
Und jetzt hast du es, sagte er sich zufrieden. Par-Con.
»Du hast es beinahe«, murmelte er, sich korrigierend.
Wie weit kann ich diesem Informationsbrief vertrauen? Bis jetzt hat A.M.G.s Forschungsgruppe phantastische Arbeit geleistet, dachte er. Ein paar Prognosen haben sich als richtig erwiesen, aber das heißt nicht, daß alle immer richtig sein müssen.
Hitler hatte seinen eigenen Sterndeuter. Julius Caesar auch. Sei klug, sei vorsichtig, ermahnte er sich.
Was tun? Jetzt oder nie, heißt die Parole.
Sevrin. Alan Medford Grant hatte geschrieben: »Dokumente, die uns vorgelegt und von der französischen Agentin Marie d’Orléans nach ihrer Verhaftung durch die Sûreté am 16. Juni in ihren wesentlichen Punkten bestätigt wurden, weisen darauf hin, daß die Abteilung V des KGB (Falschinformationen – Ferner Osten) unter dem Codenamen Sevrin ein bisher unbekanntes, streng geheimes Spionagenetz über den ganzen Fernen Osten geflochten hat. Die Sevrin gestellte Aufgabe geht deutlich aus dem gestohlenen Hauptdokument hervor: Zweck: das revisionistische China lahmzulegen.
Unmittelbares Ziel: die Vernichtung Hongkongs als Bastion des Kapitalismus im Fernen Osten und Chinas wichtigste Quelle für Devisen und alle Auslandshilfe technischer und wirtschaftlicher Natur.
Methode: langfristige ideologische Unterwanderung von Medien, Regierung und Polizei, Geschäftswelt und Unterrichtswesen durch von der Zentrale gesteuerte Sympathisanten – aber nur im Einklang mit den besonderen Zielsetzungen in ganz Asien.
Beginn: sofort.
Dauer der Operation: provisorisch auf dreißig Jahre festgesetzt.
Vorgesehener Termin: 1980 bis 83. Kapitalmäßige Fundierung: unbegrenzt.
Genehmigt: L.B. 14. März 1950.«
»Es ist aufschlußreich festzustellen«, hatte Grant hinzugefügt, »daß das Dokument 1950 von L.B. – vermutlich Lawrentij Berija – unterzeichnet wurde, zu einer Zeit also, da Sowjetrußland mit dem kommunistischen China offen verbündet
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