Honig
anderen rauchte, ließ schon wieder sein Feuerzeug aufflammen. Er sagte: »Wir haben uns massivem Druck und modischen Argumenten gebeugt und Frauen an Bord genommen. Und herausgekommen ist ungefähr das, was wir erwartet haben.«
Inzwischen ging ich davon aus, dass sie mich feuern würden und ich nichts zu verlieren hatte. Ich fragte: »Warum haben Sie mich eingestellt?«
»Das frage ich mich auch die ganze Zeit«, erwiderte Tapp freundlich.
»Wegen Tony Canning?«
»Ach ja. Der arme Tony. Wir hatten ihn ein paar Tage in einem sicheren Haus, bevor er sich auf seine Insel verzogen hat. Wir wussten, dass wir ihn nicht wiedersehen würden, und wollten vorher noch ein paar offene Fragen klären. Traurige Geschichte. Es gab eine Hitzewelle. Er hatte die ganze Zeit Nasenbluten. Am Ende haben wir ihn als ungefährlich eingestuft.«
Nutting ergänzte: »Nur falls Sie das interessiert. Wir haben ihn nach seinen Motiven gefragt. Er hat uns was von Gleichgewicht der Kräfte vorgequatscht, aber unsere Quelle in Buenos Aires hat uns was ganz anderes erzählt. Er ist erpresst worden. 1950, nur drei Monate nach seiner [413] Hochzeit. Die Moskauer Zentrale hat ihm eine Versuchung vor die Nase gesetzt, der er nicht widerstehen konnte.«
»Für ihn konnten sie nicht jung genug sein«, sagte Tapp. »Apropos, er wollte, dass wir Ihnen das hier geben.«
Er hielt mir einen geöffneten Umschlag hin. »Von uns aus hätten Sie das schon vor Monaten bekommen, aber die Spezialisten unten im Keller meinten, da sei vielleicht eine verschlüsselte Nachricht drin.«
Ich versuchte möglichst gleichgültig zu wirken, als ich den Umschlag entgegennahm und ihn in meine Handtasche steckte. Aber ich hatte die Handschrift erkannt und begann zu zittern.
Tapp entging das nicht. »Wie wir von Max wissen, waren Sie ganz aufgeregt wegen eines kleinen Zettels. Der war vermutlich von mir. Ich hatte den Namen seiner Insel notiert. Tony erwähnte, man könne dort in der Gegend ausgezeichnet Lachsforellen fischen.«
Wir warteten schweigend, bis diese irrelevante Information sich in Luft aufgelöst hatte.
Dann fuhr Nutting fort: »Aber Sie haben recht. Wir haben Sie seinetwegen eingestellt, für den Fall, dass wir uns in ihm täuschten. Haben Sie im Auge behalten. Wie sich zeigte, war die Gefahr, die Sie darstellten, eher von der banalen Sorte.«
»Und jetzt wollen Sie mich loswerden.«
Nutting sah Tapp an, der reichte ihm sein Zigarettenetui. Nutting steckte sich eine an und sagte: »Nein, keineswegs. Sie sind auf Probe. Wenn Sie keinen Ärger machen, wenn Sie uns keinen Ärger machen, können Sie die Kurve gerade noch kriegen. Morgen fahren Sie nach Brighton und teilen [414] Haley mit, dass er kein Geld mehr bekommt. Ihre Legende mit der Stiftung halten Sie selbstverständlich aufrecht. Wie Sie das anstellen, ist Ihre Sache. Von uns aus können Sie ihm die Wahrheit über seinen grässlichen Roman sagen. Des Weiteren brechen Sie den Kontakt zu ihm ab. Auch hier haben Sie freie Hand, wie Sie das machen. Aber Sie lassen sich nie wieder in seiner Nähe blicken. Wenn er nach Ihnen sucht, schicken Sie ihn weg. Erzählen Sie ihm, Sie haben einen anderen. Es ist aus. Verstanden?«
Sie warteten. Wieder hatte ich dasselbe Gefühl wie früher als Teenager, wenn der Bischof mich in sein Arbeitszimmer rief, um über meine schulischen Fortschritte zu sprechen. Das Gefühl, unartig und klein zu sein.
Ich nickte.
»Ich möchte das von Ihnen hören.«
»Ich habe verstanden, was Sie von mir verlangen.«
»Ja. Und?«
»Ich werde es tun.«
»Noch einmal. Lauter.«
»Ja, ich werde es tun.«
Nutting blieb sitzen, Tapp erhob sich und zeigte mit einer gelblichen Hand höflich auf die Tür.
Ich ging ein Stockwerk hinunter und über den Flur zu einem Fenster, das auf die Curzon Street sah. Bevor ich den Umschlag aus der Handtasche nahm, blickte ich mich um. Das einzelne Blatt Papier war bereits stark abgegriffen.
[415] 28. September 1972
Meine Liebe,
heute habe ich erfahren, dass man Dich letzte Woche eingestellt hat. Gratuliere. Ich freue mich sehr für Dich. Die Arbeit wird Dir gefallen und Dich erfüllen, und ich weiß, Du wirst gut darin sein.
Nutting hat versprochen, Dir diesen Brief zukommen zu lassen, aber da ich weiß, wie so etwas läuft, wird bis dahin vermutlich einige Zeit vergehen. Unterdessen wirst Du schlimme Dinge gehört haben. Du wirst wissen, warum ich wegmusste, warum ich allein sein musste und warum ich alles in meiner Macht Stehende tun
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