Honig
rede wieder. Shirley ging zur Theke, um die nächste Runde zu holen, und als sie zurückkam, klang sie auf einmal wieder lebhaft. Das Thema war abgehakt.
»Ich hab das mit Tom Haley gelesen. So ein Mist. Ich nehme an, es hat irgendwie mit dir zu tun.«
Ich nickte nicht einmal.
»Schade, dass ich da nicht eingeweiht war. Ich hätte denen gleich sagen können, was für eine schlechte Idee das ist.«
Ich zuckte die Schultern und trank mein Bier, versteckte mich wohl ein wenig hinter dem Glas, während ich nach Worten suchte.
»Schon gut. Ich will’s gar nicht wissen. Ich will dir nur was sagen, dir eine kleine Idee in den Kopf setzen, du brauchst mir auch nicht jetzt zu antworten. Vielleicht bin ich voreilig, aber so wie ich den Artikel heute früh verstanden habe, kann es gut sein, dass sie dich rausschmeißen. Wenn ich falschliege, umso besser. Aber wenn ich recht habe und du auf einmal was brauchst, kannst du jederzeit bei mir arbeiten. Oder mit mir. Bei uns im sonnigen Ilford. Wär das nicht ein Spaß? Ich kann das Doppelte von dem zahlen, was du jetzt bekommst. Du würdest alles über Betten lernen. Wir stecken zwar in einer Wirtschaftskrise, aber die Leute werden immer was zum drauf Pennen brauchen.«
Ich legte meine Hand auf ihre. »Das ist sehr lieb von dir, Shirley. Sollte es so weit kommen, überlege ich’s mir.«
»Ich sag das nicht aus Mitleid. Wenn du ins Geschäft [422] einsteigen würdest, hätte ich mehr Zeit zum Schreiben. Stell dir vor, für die Rechte an meinem Roman gab es sogar eine Auktion. Die haben ein Vermögen dafür gezahlt. Und jetzt hat jemand die Filmrechte gekauft. Julie Christie will die Hauptrolle übernehmen.«
»Shirley! Herzlichen Glückwunsch! Wie heißt das Buch?«
»Der Schandkorb.«
Ah ja. Hexen wurden darin unter Wasser getaucht. Wenn sie ertranken, waren sie unschuldig, wenn sie überlebten, waren sie schuldig und wurden zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Eine Metapher für das Leben einer jungen Frau. Ich sagte, ich wäre ihre ideale Leserin. Wir sprachen über das Buch, dann über ihr nächstes, das im achtzehnten Jahrhundert spielte, eine Liebesgeschichte zwischen einem englischen Aristokraten und einer Schauspielerin aus den Slums, die ihm das Herz bricht.
Dann sagte Shirley: »Du bist also wirklich mit Tom zusammen. Unglaublich. Du bist ein Glückskind! Ich meine, er natürlich auch. Ich schreibe ja bloß Schund, aber er ist einer der Allerbesten. Es freut mich, dass er den Preis bekommen hat, obwohl ich mir bei diesem komischen kleinen Roman nicht so sicher bin. Und was er jetzt durchmacht, ist schon ziemlich hart. Aber Serena, es glaubt doch keiner im Ernst, dass er gewusst hat, woher das Geld kommt.«
»Freut mich, dass du das so siehst«, sagte ich. Schon seit einer Weile behielt ich die Uhr über der Bar, hinter Shirleys Kopf, im Blick. Um sieben war ich mit Tom verabredet. Ich hatte noch fünf Minuten, um mich loszueisen und [423] eine stille Telefonzelle zu finden, aber mir fehlte die Kraft, das auf elegante Weise zu tun. Beim Thema Betten hatte ich meine Erschöpfung wieder gespürt.
»Ich muss los«, murmelte ich in mein Bier.
»Vorher musst du dir noch meine Theorie anhören, wie das an die Presse gelangt ist.«
Ich stand auf und griff nach meinem Mantel. »Erzähl’s mir später.«
»Und willst du nicht wissen, warum man mich rausgeschmissen hat? Ich dachte, du hättest tausend Fragen.« Sie baute sich vor mir auf, so dass ich nicht hinter dem Tisch hervorkam.
»Nicht jetzt, Shirley. Ich muss jetzt telefonieren.«
»Vielleicht erzählst du mir eines Tages, warum sie die Aufpasser auf dich angesetzt haben. Ich hatte nicht vor, meine Freundin zu bespitzeln. Ich hab mich richtig geschämt, dass ich da zuerst mitgemacht hab. Aber das war nicht der Grund, warum die mich gefeuert haben. Die haben so eine Art, einen das spüren zu lassen. Und sag nicht, ich sei paranoid. Falsche Schule, falsche Universität, falscher Akzent, falsche Einstellung. Mit anderen Worten: total inkompetent.«
Sie zog mich an sich, umarmte mich und küsste mich wieder auf beide Wangen. Dann drückte sie mir eine Visitenkarte in die Hand.
»Ich halte die Betten für dich warm. Denk drüber nach. Du als Geschäftsführerin! Neue Filialen, ein Bettenimperium! Und jetzt zisch ab, meine Liebe. Wenn du rauskommst, findest du links eine Telefonzelle, am Ende der Straße. Grüß ihn von mir.«
[424] Als ich zum Telefon kam, war es fünf nach. Er nahm nicht ab. Ich legte
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