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Honig

Honig

Titel: Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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faszinierend.«
    Er setzte zu einer Antwort an, wandte sich dann aber mit einer unwilligen Abwärtsbewegung seiner Hand von mir ab und ging hinaus.
    Doch wir wurden Freunde. Da er mich an Jeremy erinnerte, ging ich bei ihm denkfaul von einer Vorliebe für Männer aus, hoffte aber, mich zu irren. Dass er darüber sprach, war kaum zu erwarten, schon gar nicht in diesen Amtsräumen. Die Welt der Sicherheitsdienste hatte, zumindest nach außen hin, für Homosexuelle nur Verachtung übrig; das machte sie erpressbar und deshalb für den Geheimdienst ungeeignet und folglich verachtenswert. Aber während ich von Max phantasierte, konnte ich mir immerhin sagen, dass ich wohl allmählich über Tony hinwegkam. Max – ich versuchte auch die anderen zu bewegen, ihn so zu nennen – war ein guter Neuzugang in meinem Leben. Anfangs dachte ich, wir könnten jetzt abends zu dritt [85] ausgehen, aber Shirley meinte, er sei ihr unheimlich, sie traue ihm nicht über den Weg. Und da er weder Pubs noch Zigarettenrauch noch laute Musik mochte, saßen wir nach der Arbeit oft auf einer Bank im Hyde Park oder am Berkeley Square. Er durfte nicht darüber reden, und ich fragte nicht danach, aber mein Eindruck war, dass er eine Zeitlang in Cheltenham, bei der Fernmeldeaufklärung, gearbeitet hatte. Er war zweiunddreißig und hatte eine Wohnung im Seitenflügel eines Landschlosses bei Egham, an einer Biegung der Themse. Mehr als einmal sagte er, ich solle doch mal vorbeikommen, aber er lud mich nie konkret ein. Er stammte aus einer Akademikerfamilie, war in Winchester im Internat gewesen und anschließend in Harvard, wo er einen Abschluss in Jura und dann noch einen in Psychologie gemacht hatte, doch ihn plagte der Gedanke, dass er das Falsche studiert hatte und besser etwas Praktisches wie Maschinenbau gewählt hätte. Einmal hatte er über eine Uhrmacher-Ausbildung in Genf nachgedacht, was ihm seine Eltern jedoch ausgeredet hatten. Sein Vater war Philosoph, seine Mutter Sozialanthropologin, und Maximilian war ihr einziges Kind. Sie wollten, dass er mit dem Kopf arbeitete, nicht mit den Händen. Nach einem unglücklichen Intermezzo als Lehrer in einer Nachhilfeschule, ein paar Aufträgen als freier Journalist und einigen Reisen gelangte er über den Geschäftsfreund eines Onkels zum Geheimdienst.
    Im warmen Frühling dieses Jahres erblühte unsere Freundschaft mit den Bäumen und Sträuchern um unsere diversen Parkbänke. Einmal, zu Beginn, griff ich in meinem Eifer unserer Vertrautheit vor und fragte ihn, ob der Druck, der als einziges Kind von Akademiker-Eltern auf [86] ihm laste, ihn wohl so schüchtern gemacht habe. Die Frage kränkte ihn, als hätte ich seine Familie beleidigt. Er hatte eine typisch englische Abneigung gegen psychologische Erklärungsmuster. Ziemlich steif erklärte er, er betrachte sich nicht als schüchtern. Er sei Fremden gegenüber zurückhaltend, denn seiner Ansicht nach sei man besser vorsichtig, bis man wisse, mit wem man es zu tun habe. In Gesellschaft von Leuten, die er kenne und möge, fühle er sich vollkommen unbefangen. Und so war es dann auch. Auf seine behutsamen Nachfragen hin erzählte ich ihm alles – von meiner Familie, von Cambridge, von meinem schlechten Abschluss in Mathe, von meiner Kolumne in ?Quis? .
    »Von deiner Kolumne habe ich gehört«, sagte er zu meiner Überraschung. Und dann etwas, das mir Freude machte: »Man erzählt sich, du hast alles gelesen, was man lesen sollte. Du kennst dich aus mit moderner Literatur und so was.«
    Es war eine Erlösung, endlich mit jemandem über Tony sprechen zu können. Max hatte sogar von ihm gehört und erinnerte sich an einen Regierungsausschuss, ein historisches Buch und an ein paar Artikel, darunter einen zu einer Debatte über Kunstförderung.
    »Wie hieß noch mal seine Insel?«
    Mit einem Schlag war mein Kopf wie leergefegt. Ich kannte den Namen doch so gut. Ein Synonym für Tod. Ich sagte: »Ist mir jetzt auf einmal entfallen.«
    »Finnisch? Schwedisch?«
    »Finnisch. Gehört zum Åland-Archipel.«
    »Lemland?«
    »Hört sich nicht richtig an. Fällt mir schon wieder ein.«
    [87] »Sag mir dann Bescheid.«
    Ich wunderte mich über seine Beharrlichkeit. »Was ist daran so wichtig?«
    »Weißt du, ich bin ein wenig auf der Ostsee herumgekommen. Zehntausende von Inseln. Eins der bestgehüteten Geheimnisse des modernen Tourismus. Gott sei Dank flieht im Sommer alles nach Süden. Dein Canning war zweifellos ein Mann mit Geschmack.«
    Dabei beließen wir

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