Honigmilch
Zahnklempner an, Fanni, jetzt gleich.«
Fanni fasste sich an die Wange. »Nein, das lässt sich nicht verschieben. Der Zahn tut mir schon eine ganze Weile weh, weil die Plombe herausgefallen ist, und nächste Woche hat die Praxis wegen Renovierung geschlossen.«
Leni presste beide Hände auf den Mund und studierte Veras Kochbücher auf dem Wandbord.
Hans Rot starrte Fanni missmutig an. »Du willst mich im Stich lassen, wegen einem kleinen Loch im Zahn?«
»Ach Papa«, sagte Leni, »du hast ja Vera und Bernhard und all die netten Nachbarn hier.«
Er nickte. »Zum Glück gibt es auch Leute, denen was an mir liegt. Also bitte, Fanni, dann geh zu deinem Zahnarzt, wenn dir das lieber ist.«
Fanni schüttete den Rest ihres Kaffees ins Spülbecken und eilte mit Leni nach oben, um zu packen.
Schon fünf Minuten später kamen beide wieder zurück.
Fanni nahm ihre Jacke vom Gardarobenhaken und wollte nach ihrer Handtasche greifen, die sich auf dem Tischchen darunter befand. Die Tasche war aufgeklappt, ein paar Sachen lagen verstreut um sie herum – die Handcreme, das Putztuch für die Lesebrille, der Taschenkalender und das Tütchen mit den Schokoladenherzen, einige waren herausgefallen. Fanni sammelte sie hastig ein und steckte sie ins Tütchen zurück. An einem fehlte eine Ecke.
Gibt es bei Vera Mäuse im Haus?
Zwei, sie heißen Minna und Max!
Kurz nach den Sechsuhrnachrichten, die einen Unfall auf der A 3 nahe Passau meldeten, tauchte das Schild auf, das die Autobahnabfahrt nach Erlenweiler ankündigte.
»Mama«, sagte Leni, »machst du Nudeln mit Käsesoße, bis ich meine Sachen zusammensuche?«
»Klar«, nickte Fanni. »Dafür, dass du mich von Klein Rohrheim losgeeist hast, backe ich für dich böhmische Liwanzen, mache Lachslasagne mit Feldsalat, brate Kartoffelrösti und schnipple drei Kilo Äpfel für Apfelstrudel klein. Alles in einem Durchgang.«
Leni lachte. »Nudeln reichen für heute«, meinte sie, »aber ich komme auf das Angebot zurück. Übrigens«, fuhr sie nach einer Pause fort, »wie lange soll ich Papa in Klein Rohrheim schmoren lassen? Bis Samstag?«
Fanni nickte mit Tränen in den Augen.
»Gut«, sagte Leni, »dann fahre ich Samstagmittag von Nürnberg nach Klein Rohrheim und hole ihn. Zum Abendessen werden wir hier sein.«
Während Fanni Nudelwasser aufsetzte, hörte sie ihre Tochter oben rumoren.
Beim Essen wollte sie Leni bitten, ihr endlich zu erzählen, was sie von Jonas Böckl über Irina Svetla erfahren hatte. Auf der Fahrt hatte sie ihrer Tochter nicht mit Fragen darüber kommen wollen, weil der dichte Verkehr ihre ganze Konzentration gefordert hatte.
Und jetzt solltest du das Kind in Ruhe essen lassen, bevor es wieder in den Wagen steigen muss!
Es war nicht nötig, Leni nach Irina zu fragen.
Fanni rührte gerade Sahne, Salz und Pfeffer und eine Prise Chili in den bereits schmelzenden Käse, als Leni herunterkam und sagte: »Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir von Jonas und seiner Beziehung zu Irina Svetla zu berichten.«
»Was für eine Beziehung hatten die beiden denn?«, fragte Fanni.
»Keine«, grinste Leni. »Irina hat sich nie erweichen lassen, obwohl es Jonas immer wieder probiert hat bei ihr.«
Fanni schreckte die Nudeln ab und sagte: »Das passt zu dem, was im Nationalpark über Irina geredet wird: Sie hat sich verhalten wie eine Nonne.«
»Ganz so sieht Jonas die Sache nicht«, entgegnete Leni. »Er meint, Irina war halt nicht auf mittelmäßige Heringe wie ihn aus. Sie wollte sich einen dicken Fisch an Land ziehen.«
»Als ob das so einfach wäre.«
Leni lachte. »Mit genau diesem Argument ist ihr Jonas auch gekommen. Irina sagte darauf, als hübsches junges Mädchen bräuchte man bloß die passenden Beziehungen, dann wäre es ein Kinderspiel, den allerfettesten Karpfen zu fangen.«
»Ein Kinderspiel wohl nicht«, meinte Fanni.
»Jonas sagt«, fuhr Leni fort, »nach diesem Gespräch sei es ihm zu dumm geworden mit Irina. Er hat ihr geraten, sie solle sich doch an den Hals werfen, wem sie wolle, und ist seiner Wege gegangen. Irina ging die ihren.«
Leni warf ihrer Mutter einen kurzen Blick zu und sprach dann weiter: »Irina ging ihrer Wege und kam dabei um, habe ich Jonas vorgehalten. Darauf hat er ziemlich sauer reagiert: ›Wie hätte ich das denn verhindern können? Hätte ich Irina auf Schritt und Tritt folgen sollen, damit sie nicht in den Höllbach oder in die Deffernik fällt und dort ertrinkt? Bin ich Bodyguard von Beruf? Jeder von
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