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Honigmilch

Honigmilch

Titel: Honigmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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uns kann durch einen Unfall sterben, heute, morgen, nächste Woche‹.«
    »Bleibt die Frage«, sagte Fanni, »ob es sich bei Irinas Tod um einen Unfall gehandelt hat.«
    »Genau«, bestätigte Leni, »und ebendiese Frage hat Jonas dann doch noch zum Nachdenken veranlasst. Viel ist allerdings nicht dabei herausgekommen.«
    Sie trug die Nudelschüssel ins Esszimmer. Fanni folgte ihr mit der Soße.
    »Jonas meint«, erzählte Leni zu Ende, »Irina könnte sich mit ihrer merkwürdigen Ambition möglicherweise in was verstrickt haben, das sie ins Verderben führte.«
    Und das ihr eine Geschlechtskrankheit einbrachte!
     
    Leni hatte drei Portionen Nudeln verdrückt, stand auf und brachte den leeren Teller in die Küche.
    »In zehn Minuten fahre ich los«, sagte sie. »Vorher muss ich noch schnell zu Jonas rüberlaufen. Er wird schon auf Kohlen sitzen.«
    Kommt Jonas etwa mit?, wollte Fanni rufen, schluckte die Frage aber hastig hinunter. Die beiden konnten nie und nimmer ein Paar sein.
    Sie blieb vor ihrem leeren Teller sitzen, dachte über Leni und Jonas nach, über den absonderlichen Unfall von Irina Svetla und über den Tod von Annabel.
    Als sie Leni zurückkommen hörte, war Fanni zu dem Resultat gelangt, dass sich bei den drei Rätseln eine Gemeinsamkeit finden ließ: Widersprüche noch und noch!
    Sie räumte die Küche auf, winkte Leni nach, als sie davonfuhr, dann nahm sie den Telefonhörer ab und rief Sprudel an.
    Eine halbe Stunde später saß sie in ihrem Wagen. Auf dem Beifahrersitz stand eine vollgepackte Reisetasche; bis zum Samstag würde sie wieder ihr Zimmer im Hotel Zur Waldbahn beziehen. Daneben lag – Fanni war auf dem Weg hinaus noch mal umgekehrt und hatte es geholt – ein Päckchen Ysoptee.

9
     
    »Ich habe mir gedacht«, meinte Sprudel beim Frühstück, »wir sollten heute, während wir die Todesfälle kritisch unter die Lupe nehmen – der Unbefangenheit halber –, nicht zum Falkenstein wandern.«
    Fanni stimmte ihm zu.
    »Wohin also?«, fragte Sprudel. »Ein zweites Mal auf den Rachel?«
    Fanni nickte. »Von der Südseite her gibt es einen wunderschönen Weg zum Gipfel. Der Steig führt am Rachelsee und an der Rachelkapelle vorbei. Unser Ausgangsort im Tal heißt Spiegelau. Abfahrt in zehn Minuten?«, fragte Fanni.
    Sprudel nickte.
     
    Kurz hinter Spiegelau, an der Straße, die nach Altschönau führte, entdeckten sie das Holzschild mit der Aufschrift »Parkplatz Martinswiese«.
    Fanni dirigierte Sprudel hinein. Er sah sich zweifelnd um. Der Rachelberg schien ihm weit in der Ferne. Er stellte den Wagen ab und ging zu der Übersichtstafel am Rand des Parkplatzes. Fanni folgte ihm. Sprudel deutete auf einen Punkt, neben dem das Wort »Gfäll« ins Holz eingeritzt war.
    »Schau, Fanni«, sagte er, »das hier ist der gängige Startpunkt für die Wanderung zum Rachelgipfel. Wir befinden uns aber mindestens sechs Kilometer weiter südlich.«
    »Na, ist doch ganz prima«, meinte Fanni, »so können wir zwei Stunden lang über schier ebenes Gelände wandern, bis unser Weg in den steileren Pfad einmündet, der vom Gfäll heraufführt. Dieses bequeme Steiglein hier verschafft uns genug Zeit für einen ausführlichen Disput über die Todesfälle vom Falkenstein.«
    Sprudel gab sich geschlagen.
    Am Gfäll, wo alle anderen Rachelwanderer ihre Schuhe schnürten und taufrisch losstiefelten, würde sich Fanni bestenfalls zu einer kleinen Rast breitschlagen lassen. Höchstwahrscheinlich aber würde sie weiterrennen. Sprudel seufzte. Eigentlich hatte er es schon geahnt. Er kannte Fannis Bedürfnis, stundenlang zu laufen. Vor allem, wenn sie von einem Besuch bei Vera zurückkam, lechzte Fanni nach einer Marathonstrecke. Psychische Strapazen baute Fanni am wirksamsten durch körperliche Strapazen ab.
    »Der Marsch wird uns heute eine Menge Ausdauer und einen langen Atem kosten«, sagte Sprudel ergeben.
    »Allerdings«, antwortete Fanni und tätschelte seine Wangenfalten, »aber ohne Mühe werden wir Annabels und Irinas Tod nicht aufklären können.« Sie schulterte ihren Rucksack, nickte dem schwarzen Auerhahn auf gelbem Grund zu, der den Weg zum Rachel markierte, und trabte an.
    »Leg los«, sagte sie zu Sprudel, nachdem er aufgeholt und sich ihrem Schritt angepasst hatte. »Erzähl, was hast du in den Wäldern des Nationalparks erfahren, während im Rheinischen ein ganzes Dorf versucht hat, meinen Enkel aufzuspüren?«
    »Fanni«, antwortete Sprudel geknickt, »obwohl ich stundenlang mit Doc Haller beim

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