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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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Reichssicherheitshauptamtes und direkt dem „Chef“, Reinhard Heydrich, unterstellt, seine Aktentasche weder aus den Augen ließ noch aus der Hand gab, ja, sie selbst noch in den Sitzungen an sich presste? Anweisungen, die erst im allerletzten Moment auf den Tisch kommen sollten? Geheime Befehle des Führers?
     
    Neben der körperlichen Liebe entdeckte Deborah noch eine weitere Ersatzbefriedigung, die sie infolge bis zum Exzess ausleben würde: Albrecht schien über schier unerschöpfliche Geldmittel zu verfügen und seine Großzügigkeit ihr gegenüber kannte keine Grenzen. Daher zog Deborah jeden Morgen los, um in der berühmten Wiener Prachtstraße in den vielen eleganten Geschäften zu schwelgen. Ihre Garderobe füllte bald unzählige Koffer.
    Am späten Nachmittag aber war sie stets im Kaminzimmer des Hotel Imperial anzutreffen, wo sie an dem kostbaren Konzertflügel übte und das ein oder andere Privatkonzert gab.
     
    * * * * *
     
    Deborah erlebte jene ersten gemeinsamen Wochen mit Albrecht wie in einem surrealen Traum. Bedingungslos folgte sie ihren Wünschen und Begierden. Es war, als wäre bei ihr ein Damm gebrochen, aus dem unaufhörlich Unersättlichkeit und Gier hervorquollen. Sie wollte leben, lieben und singen und forderte alles – jetzt und gleich und sofort!
    Es war die absolute Hingabe an das Leben, wie sie nur wenige Menschen für eine kurze Zeit erfuhren - die Maßlosigkeit einer absoluten Seele. Darin glich Deborah ihrer Mutter. Doch Elisabeth war im bestmöglichen Moment ihrem Retter Gustav begegnet; Deborah hingegen hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
    An ihren Bruder dachte Deborah kein einziges Mal mehr. Sie hatte auch vergessen, ihn von Zürich aus anzurufen. Ihr früheres Dasein schien in einer anderen Zeit versunken. Die Musik wurde zum letzten Bindeglied zwischen ihrem alten und ihrem neuen Leben.

 
     

    Kapitel 3 8
     
     
    KRAKAU, Generalgouvernement Polen
     
    Von Wien aus setzten Albrecht und Deborah ihre Reise nach Krakau in Polen fort. Polen galt jetzt als „Nebenland“.
    Seit Oktober 1939 war es von den Deutschen besetzt, jedoch nicht ins Reich eingegliedert worden. Das Gebiet wurde als Generalgouvernement bezeichnet und bestand aus den fünf Distrikten Krakau, Lublin, Lemberg, Radom und Warschau. Ungefähr 12 Millionen Menschen lebten dort im Jahr der Besetzung. Bis 1945 würde sich die Bevölkerung auf ungefähr die Hälfte reduziert haben.
     
    * * * * *
     
    Für die Fahrt nach Krakau hatte Albrecht extra seinen Chauffeur aus Berlin mit dem Zug nach Wien beordert.
    Albrechts Chauffeur war nicht sehr groß und leicht massig. Sein Gesicht war weich und rund und ging direkt in einen poliert wirkenden Schädel über. Sein Name war Osman und er war stumm.
    Noch während der Fahrt erfuhr Deborah Osmans Geschichte von Albrecht. Bevor Albrechts Mutter seinen Vater geheiratet hatte, hatte sie einige Monate als hoffnungsvolle Sängerin auf der Bühne gestanden. Dort hatte sie ein geheimnisvoller, morgenländischer Fürst gehört und sich unsterblich in die junge Sängerin verliebt. Während er voller Glut um sie warb, wartete er jeden Tag mit einem fürstlichen Geschenk für sie auf: Exotische Früchte und exotische Tiere, lupenreine Perlen und funkelnde Diamanten und zuletzt das kostbarste Geschenk von allen: Osman - damals ein kleiner verschreckter Junge mit wild rollenden Augen.
    Albrecht erklärte Maria, Osman wäre ein Kastrat und hätte einst eine wunderhübsche Singstimme besessen.
    „Was ist ein Kastrat?“, fragte Deborah und beäugte neugierig den bemützten Hinterkopf des stoischen Osman, der so tat, als merkte er nicht, dass gerade über ihn gesprochen wurde.
    „Ein Kastrat, meine Liebe, ist kein Mann.“
    „Aha. Und was ist er dann? Nach einer Frau sieht er mir jedenfalls nicht aus. Gibt es denn etwas dazwischen?“, fragte Deborah verwundert.
    „Kastrat leitet sich von dem lateinischen Wort Castratus ab“, dozierte Albrecht. „Man unterzieht die Jungen vor der Pubertät dieser Prozedur, indem man ihnen die Hoden entfernt. Diese kleine Operation verhindert, dass sie den Stimmbruch erleiden, weil der Kehlkopf dann nicht weiterwächst. So behalten sie ihre Knabenstimmen. Kastraten waren früher äußerst begehrte Sänger für die Oper, aber mittlerweile sind sie ausgestorben. Der letzte Kastrat der päpstlichen Kapelle, Alessandro Moreschi, starb 1922. Ich glaube, Osman ist das letzte Exemplar seiner Art. Merkwürdig, dass ausgerechnet du als Sängerin

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