Honigtot (German Edition)
und fauchte: „Was ist? Was willst du noch von mir? Verschwinde endlich! Lass mich allein.“
Wenigstens weinte sie nicht, stellte Marlene mit beinahe wissenschaftlichem Interesse fest. Das Mädchen war jung, impulsiv, idealistisch, aber auch voll angestauter Wut. So gesehen eine gefährliche, geradezu explosive Mischung. Aber es fehlte ihr nicht an Mut, wie sie heute gezeigt hatte, als sie sich ohne zu zögern auf den Szmalcownik gestürzt hatte.
Marlene verfolgte einen Plan, von dem sie nicht wusste, ob er gelingen konnte. Falls er aber nicht aufgehen sollte, dann hätte sie damit ihr Leben in Deborahs Hände gelegt.
Doch ihr Leben zählte nichts im Vergleich zu dem, was sie vielleicht dadurch gewinnen konnte. Trotzdem wünschte sie sich, ihr bliebe mehr Zeit für ihr Vorhaben. Doch der Krieg gestand ihr diese nicht zu. Tag für Tag verschlang er zu viele Leben. Noch zögerte sie. Sie wusste, dass sie sich äußerst behutsam an ihr Anliegen herantasten musste. Zunächst würde sie Deborah auf die Probe stellen.
„Ich weiß, dass das heute furchtbar für dich gewesen sein muss, ma petite. Glaub mir, ich verstehe dich, sehr sogar. Aber wir hätten rein gar nichts für das Mädchen ausrichten können. Das arme Ding wäre so oder so nicht mehr zu retten gewesen. Diese Männer wollten sie unbedingt haben.“ Marlene erntete dafür nicht mehr als ein verächtliches Schnauben vom Bett.
„Nun, ich habe es bemerkt. Das Mädchen war ihre Beute. Lass es dir gesagt sein, Chérie: Stell dich niemals zwischen Jäger und Beute, denn sonst wirst du ebenfalls zum Opfer werden. Wir hatten keine Möglichkeit, ihr zu helfen. Der Mann hatte bereits seine Hand an der Waffe.“
„Natürlich hätten wir etwas tun können! Man kann immer etwas tun! Und hör endlich auf mit deinem ewigen Chérie, ich kann es nicht mehr hören“, blaffte Deborah böse.
Marlene fand, dass das keine Widerrede war, sondern lediglich Ausdruck von rhetorischer Hilflosigkeit. „Also schön.“ Graziös schlug sie ihre Beine übereinander. „Dann erkläre mir doch mal, was wir deiner Meinung nach hätten tun können? Um Hilfe schreien und noch mehr dieser Nazi-Kollaborateure anlocken? Oder uns auf sie stürzen, ihnen die Waffen entwinden, um sie dann in Schach zu halten, bis das Mädchen geflohen wäre? Noch besser, die Männer gleich erschießen und gemeinsam mit dem Mädchen fliehen? Wohin?“
Als Antwort baute sich Deborah mit in die Hüften gestemmten Händen vor ihr auf und funkelte sie an. Es folgte minutenlanges, hilfloses Herumstampfen, bis Deborah schließlich keuchend innehielt. Dann drehte sie sich mit einem letzten wütenden Schnauben um, sauste ins Badezimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Gleich darauf erklang das Rauschen von Badewasser. Marlene hielt von Deborahs Idee, ein Bad zu nehmen, sehr viel. Sie zog daher ihre schmutzigen Kleider samt Unterwäsche aus und ließ sie achtlos an Ort und Stelle liegen, dann goss sie sich nochmals ein großzügig bemessenes Glas Cognac ein und trank es in einem Zug. Dann folgte sie Deborah nackt und ungeniert ins Bad und stieg zu der Verdutzten in die große Wanne. Zeit für ein intimes Gespräch.
„Einmalig, dein Schaumbad“, sagte Marlene und machte es sich wohlig seufzend im heißen Wasser bequem.
„Aha. Und woran erkennst du das, bitte?“, fragte Deborah schnippisch, sichtlich erbost über Marlenes dreisten Überfall.
„Viel Schaum.“ Marlene kicherte und pustete eine große, flauschige Wolke in Deborahs Richtung.
Deborah wich dem Schaumball aus. Aber ihre verärgerte Miene war einer vorsichtigen Neugierde gewichen, was es mit Marlenes absurd aufdringlichem Verhalten auf sich hatte.
Marlene bemerkte ihren Stimmungswechsel und startete ihren ersten Versuchsballon: „Du hast doch vorhin behauptet, dass man immer etwas tun kann. Ich bin neugierig. Was stellst du dir darunter so vor?“
Deborah schwieg. Dafür widmete sie sich mit Hingabe dem Badeschaum. Aufmerksam, als gäbe es für sie nichts Interessanteres auf der Welt, beobachtete sie die kleinen Bläschen, die nach und nach in ihren Händen zerplatzten. Endlich sagte sie mit leiser Stimme: „Man muss doch wenigstens versuchen, den Juden zu helfen, oder?“ Aller Trotz war von ihr gewichen und sie wirkte plötzlich sehr jung und verletzlich, aber Marlene ließ sie nicht so leicht vom Haken. „Das ist gut gemeint und leicht gesagt und es ist naiv. Vor allem ist es kein Vorschlag. Was würdest du konkret machen? Einfach so in
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