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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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kannte, aber er hatte es für übertrieben gehalten. Genau genommen hatte Marlene mit ihm gewettet, dass es ungefähr zehn Minuten dauern würde, bis Deborah und er nichts anderes mehr im Sinn haben würden, als sich gegenseitig ins Bett zu zerren. Nun, wenn er ehrlich mit sich selbst sein wollte, musste er zugeben, dass er die Wette, wäre er darauf eingegangen, verloren hätte. Es waren wohl weniger als zwei Minuten gewesen.
    Mit Bedauern ließ er jetzt Deborahs Fuß los. Ihm war bewusst, dass Marlene draußen wartete - er konnte ihre Präsenz nebenan beinahe körperlich spüren. Es war äußerst geschickt von ihr gewesen, Deborah mit ihm alleine zu lassen. So war Marlene, klug und gerissen. Wenn er sich jetzt nicht zügelte, würde er sich ihr gegenüber wie ein Schweinehund fühlen. Er bewunderte Marlene, ihren Mut und ihre Unerschrockenheit. Vor dem Krieg hatte er geglaubt, sie zu lieben. Und genau aus diesem Grund hatte er sie verlassen. Er brauchte alle seine Sinne für den Feind. Gefühle potenzierten jede Gefahr; man musste Rücksichten nehmen und zögerte vielleicht im falschen Augenblick, und dann war man tot. Darum hatte er getan, was er tun musste. Es war Krieg. Er war ein anderer Jakob.
    Vielleicht, wenn sie beide den Krieg überlebten, konnten sie nochmals von vorne anfangen ... Doch darüber machte er sich wenig Illusionen. Er ging zu viele Risiken und Gefahren ein und sein Glück konnte nicht ewig währen. Er konnte förmlich fühlen, wie die Nazijäger näher kamen und die Schlinge um seinen Hals langsam aber sicher enger wurde. Ihre Kampforganisation ZOB wurde von Woche zu Woche schwächer und es gab zu wenig guten Nachwuchs. Nicht jeder war für diese Art von Aufgaben geeignet. Sabotage erforderte mehr als nur Mut und guten Willen.
    Erst heute wieder hatte er mit Justyna eine seiner besten weiblichen Kämpferinnen verloren. Eine niederschmetternde Neuigkeit. Er wusste noch nicht, wohin man sie gebracht hatte, vermutlich ins Montelupych-Gefängnis, wo man sie unweigerlich foltern würde, um die Namen ihrer Komplizen zu erfahren. Er litt mit Justyna. Bisher hatte keine der gefassten Frauen auch nur einen Mitkämpfer verraten. Er dachte an die vielen anderen tapferen Frauen im Widerstand, Frauen, die täglich ihr Leben und die Folter riskierten, indem sie durch das Land reisten, Waffen schmuggelten und Nachrichten zwischen den einzelnen Gruppen beförderten. Die Jüngste, Zelma, war gerade einmal vierzehn.
    Kürzlich hatten zwei seiner Kuriere, Havka und Frumka, unbeschadet die Strecke Warschau-Chrobieszow und zurück absolviert. Von dort hatte ein weiterer Kurier ihre Informationen nach Krakau weitergeleitet. Die beiden hatten den ersten Augenzeugenbericht vom Vernichtungslager Belzec abgeliefert. Doch der Ältestenrat der Juden von Krakau, mit den bitteren Nachrichten von Massenexekutionen konfrontiert, wollte nichts davon wissen. Es war einfacher, den Deutschen zu glauben, die behaupteten, alle Juden würden in den Osten umgesiedelt. Stattdessen wanderten die Männer, Frauen und Kinder direkt in den Tod nach Belcec, Auschwitz und Treblinka.
    Vor dem Krieg waren diese heroischen Frauen einfache Hausfrauen oder Arbeiterinnen gewesen. Auch einige Studentinnen hatten sich ihnen angeschlossen. Fast alle waren sie jung und hübsch und sprachen fließend Deutsch. Sie hatten gelernt, mit einer Waffe umzugehen und zu kämpfen, wussten, wie man ein Funkgerät bediente und eine Sprengladung anbrachte. Sie nahmen eine zweite Identität als Deutsche an und lächelten dem Feind freundlich ins Gesicht, wann immer er ihnen begegnete.
    Frauen hatten im Widerstand gegenüber den Männern einen entscheidenden Vorteil: Männern konnte man bei Verdacht einfach die Hosen ausziehen, um zu überprüfen, ob sie nach jüdischem Ritus beschnitten waren. So, wie es Osman heute passiert war. Oft wurden die auf diese Weise Aufgegriffenen sofort an Ort und Stelle exekutiert. Das war noch das Beste, auf das er selbst hoffen konnte, wenn er den Nazis in die Hände fallen sollte. Er selbst war Pole und nicht-jüdischer Herkunft. Seine jüdische Abstammung beschränkte sich auf eine jüdische Urgroßmutter. Seine Eingeweide verkrampften sich. So viele Aufgaben, so viele Sorgen … Ein Plan, Justyna zur Flucht zu verhelfen, musste entworfen werden, dann ein Überfall auf einen Nachschubkonvoi organisiert, die Nachrichten, die er heute aus Warschau erhalten hatte, mussten vervielfältigt und verteilt und schließlich die

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