Honigtot (German Edition)
Freiheiten einer verheirateten Frau zu genießen. Jedoch übte sie nach wie vor und mit der strengen Disziplin der studierten Sängerin täglich ihre Stimme und begleitete sich dabei selbst am Klavier.
Gustav, der die Berufung in seinem medizinischen Streben mit ihr teilte, zeigte von jeher großes Verständnis für all jene, die ihrem Beruf mit Liebe und Inbrunst nachgingen. Daher zögerte er nicht einen Augenblick zuzustimmen, dass seine Gattin im Februar 1924 dem Ruf an die Mailänder Scala folgte, um dort in Verdis Traviata die Violetta zu singen. Ihren Alfredo würde der berühmte italienische Startenor Benjamino Gigli geben. Mitte Januar würden die Proben beginnen und Elisabeth freute sich schon sehr darauf. Die Rolle der Violetta war ihr eine der liebsten.
Dabei verdankte sie ihren für eine Sopranistin sehr frühen Erfolg nicht allein ihrer herausragenden Stimme und ihrer bildschönen, exotischen Erscheinung, sondern vor allem auch ihrer Darstellung. Trotz ihrer Jugend war Elisabeth bereits eine Tragödin von Format, über die die Kritiker schrieben, dass sie von bezwingender Expressivität sei.
Aber noch weilte die Künstlerin in München und übte sich in der Partitur der frisch angetrauten Ehegattin, der einzig und allein das Wohlbefinden des Ehegatten am Herzen zu liegen hatte. Nach drei Monaten Ehe hatte bereits der gängige Entwicklungsprozess einer jeden frisch vermählten Ehefrau eingesetzt und täglich lernte sie ein wenig mehr in der Miene ihres Gatten zu lesen.
Elisabeth verfolgte diese für sie ungewohnten Veränderungen in ihrem Leben mit dem gleichen Eifer, mit dem sie sonst an eine neue Gesangsrolle heranging. Und so erging sie sich in Überlegungen, ob sie schon nach dem Nachmittagskaffee läuten solle, oder ob ihr Gatte lieber noch ein wenig seine medizinischen Schriften studierte? War er in der Stimmung für einen Spaziergang oder gar aufgeräumt genug für einen abendlichen Besuch in dem neuen Lichtspielhaus, welches Elisabeths besondere Leidenschaft war. Gerade war ` Der böse Geist Lumpaci Vagabundus ´ mit Hans Albers angelaufen, den sie unbedingt sehen wollte.
Natürlich waren dies keine weltbewegenden Themen, mündeten sie doch in ein beschauliches Leben, das sich vornehmlich auf männliche Befindlichkeiten beschränkte. Aber es bewies, dass Elisabeth durchaus verstanden hatte, dass ihr Leben keine immerwährende Aufführung darstellte, in der am Schluss der Vorhang fiel und man Ovationen und Blumensträuße erntete.
So war es Elisabeths fester Wille, die ersten zaghaften Schritte aus dem Schatten zu wagen, den die Musik auf sie warf, und ihrem Gustav in ihrer Gedankenwelt einen ebenbürtigen Stellenwert einzuräumen.
Bevor Elisabeth ihrem Gustav begegnet war - eine Kollegin hatte ihn ihr wegen einer nicht abklingen wollenden Erkältung empfohlen -, hatte sie mit Männern wenig im Sinn gehabt und auch keinerlei Bedürfnisse in dieser Richtung verspürt. All ihr Denken und ihre Zeit widmete sie der Musik; Begabung war zwar eine Voraussetzung, aber Können musste man sich hart erarbeiten.
Und es gab einen weiteren Grund für ihre Zurückhaltung: Sie hatte von ihrer Mutter gelernt, dass man einen Menschen über alle Maßen lieben und trotzdem die meiste Zeit über sehr traurig und unglücklich sein konnte.
Elisabeth aber wollte sich nicht sorgen, sie wünschte sich ein glückliches und umjubeltes Leben. Sie wollte sich lebendig fühlen, singen, tanzen, spielen und in ferne Länder reisen. Sie war jung.
Und dann kam Gustav. Dieser wunderbare, große dunkle Mann, der unentwegt beeindruckende Dinge tat oder sagte und der schönere und sensiblere Hände besaß als alle Pianisten dieser Welt. Gustav hatte in ihr jene unbekannte, berauschende Melodie entzündet, die von nun an jeden Tag in ihrer Seele erklang.
* * * * *
Gustav hatte indessen sowohl die Zeitung als auch die verlorene Sprache zurückerobert - leider nicht seine berühmte Gemütsruhe. Er hielt Elisabeth nun einen ernsthaft formulierten Vortrag, dessen Quintessenz nur allzu rasch in der Gattin Kopf verblasste. Da aber dieser sehr viele Worte wie `gefährlich´, `sich vorsehen´, `nicht mehr alleine ausfahren´, et cetera, beinhaltete, verstand Elisabeth deren praktische Auswirkung sehr wohl. Es bedeutete, dass Gustav im Begriff stand, ihr die persönliche Freiheit einzuschränken!
Das gefiel Elisabeth wiederum so gar nicht, hatte sie doch ihren neuen Habitus als verheiratete Frau und die damit
Weitere Kostenlose Bücher