Honigtot (German Edition)
beiden Deppen in dieselbe Zelln, dann können´s zamm marschieren und singen.“
* * * * *
Die Politik im Allgemeinen und der Hitler im Besonderen rückten dann sehr schnell in den Hintergrund. Wenige Tage später stellte sich heraus, dass Elisabeth ein Kind erwartete, und das, obwohl der Doktor eigentlich wusste, wie man aufpasst.
Die Eheleute hatten bei ihrer Hochzeit das Thema Kinder mit einer für jene Zeit ungewöhnlichen Offenheit besprochen - denn der Doktor wusste um die Ängste und Nöte einer Gebärenden und kannte die Komplikationen einer Geburt.
Man konnte die Ansichten des Doktors daher getrost als modern bezeichnen, wenn er die Meinung vertrat, dass eine Mutter die Anzahl ihrer Kinder selbst bestimmen sollte und ebenso den Zeitpunkt, wann sie sich selbst für diese Verantwortung bereit fühlte.
Das Paar hatte daher den durchaus vorhandenen Kinderwunsch bewusst auf einen späteren Zeitpunkt gelegt. Aber manchmal entwickeln sich die Dinge ja bekanntlich anders als geplant.
Damit hatten sich Mailand, La Traviata und die Violetta vorerst erledigt.
Teil 3
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Deborah
Kapitel 10
DIE ARCHE NOAH
1924
Gustav und Elisabeth waren sich von Anfang an darin einig, ein Wunderkind gezeugt zu haben, und die Namen waren schnell verhandelt: Wenn es ein Mädchen werden würde, würden sie es Deborah nennen, nach Gustavs verstorbener Mutter.
Sollte ihnen ein Junge beschieden sein, würde er Wolfgang heißen, nach Amadeus Mozart, Elisabeths großem Idol.
Die Geburt der kleinen Deborah im Juni 1924 erfolgte an einem sonnigen Tag im Zodiakus der Zwillinge, dem Sternzeichen, dem man nachsagte, dass besonders viele Künstler unter ihm geboren waren. Der Glücksstern strahlte in der Tat für die neue Erdenbürgerin: Ihr künftiges Zuhause war glücklich und von Musik erfüllt, mit Eltern, die sich und ihr Kind leidenschaftlich liebten, und mit allen bürgerlichen Annehmlichkeiten.
Wenn Gustav das Wunder der kleinen Deborah in ihrer Wiege betrachtete, erblickte er in ihr das Versprechen auf eine bessere Zukunft. Gleichzeitig rückte ihm dann auch die vergangene und die gegenwärtige Zeit sehr nahe ins Bewusstsein, eine Zeit, in der viele Menschen Hunger litten und in der die Angst vor einer ungewissen Zukunft vorherrschte.
Kaum sechs Jahre war es her, dass Deutschland den verlustreichsten Krieg der Menschheitsgeschichte verloren hatte. Er war selbst im Krieg gewesen und hatte sein Elend und seine Sinnlosigkeit als Arzt an vorderster Front miterlebt.
Weitaus mehr Sorgen bereitete ihm jedoch die danach einsetzende, katastrophale Entwicklung, die sein Heimatland endgültig an den Rand des Abgrunds rückte: Die Novemberrevolution und der Sturz des Wilhelminischen Kaiserreichs, besiegelt mit dem Versailler Friedensvertrag von 1919. Der Diktatfrieden verlangte horrende Reparationszahlungen an die Siegermächte und ging mit schweren sozialen Unruhen einher, die einen Bürgerkrieg auslösten und schließlich in die Weimarer Republik gemündet waren - einer Republik mit mehr als dreißig verschiedenen Parteien, die sich gegenseitig auf den Füßen herumtraten, behinderten, stritten.
Neben dem anhaltenden Terror der Kommunisten-Horden, dem sogenannten `Schwarzen Block´, war es jedoch besonders der zunehmende Antisemitismus, der Gustav erschütterte. Die Feindschaft und Gewalt gegenüber Juden hatte sich seit dem Ende des Kaiserreichs radikalisiert; judenfeindliche Aktionen wurden geradezu zu einem Charakteristikum der neuen Weimarer Republik, die als `verjudet´ galt. Jüngstes und prominentestes Opfer war der erste jüdische Reichsaußenminister, Walther Rathenau. Dem vielgesungenen Vers „Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau“ waren im Sommer 1922 Taten gefolgt. Er wurde ermordet. Auch Gustavs Freund, Maximilian Harden, Sozialist und Herausgeber der politischen Wochenzeitschrift „Die Zukunft“, war bei einem Attentat schwer verletzt worden und noch nicht wieder vollständig genesen. Der Antisemitismus zog sich durch alle Bevölkerungsschichten, besonders jedoch rekrutierten sich dessen Anhänger aus dem Mittelstand und dem Bildungsbürgertum. Es waren vaterländische Politiker, die durch die Demokratie der Republik einen Teil ihrer Privilegien verloren hatten, die bedenkenlos antisemitische Vorurteile schürten. Ihre Propaganda stützte sich dabei vornehmlich auf die vom Wilhelminischen Kaiserreich übernommenen völkischen Rassegedanken.
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