Honigtot (German Edition)
lagen überall zerstreut, die Möbel waren teilweise umgestürzt und die Schubladen herausgerissen. Eine große Anzahl Uniformierter war eben dabei, mit vollbeladenen Kisten abzuziehen. Elisabeths elegante Erscheinung wurde von ihnen mit neugierigen Blicken taxiert.
Von Meyerlinck war soeben von einer apokalyptischen Hausdurchsuchung heimgesucht worden und steckte selbst bis über beide Ohren in Schwierigkeiten. Trotzdem nahm er sich die Zeit, Elisabeth in seinem verwüsteten Büro zu empfangen. Er meinte, dass es nicht gut wäre, wenn man sie hier bei ihm erkannte, da man ihn verdächtigte, mit den Judenschweinen gemeinsame Sache zu machen .
Von Meyerlinck drückte die Zeit und Elisabeth las in seinen müden Augen, dass er mit seiner baldigen Verhaftung rechnete. Ein Wunder, dass man ihn nicht gleich mitgenommen hatte , raunte er ihr hinter der Hand zu.
Aufgrund seiner momentanen Lage sah er sich außerstande, ihr zu helfen. Elisabeth tauschte die Rolle der Hilfesuchenden daher ein und schenkte stattdessen dem Baron einige Worte der Aufmunterung.
Er deutete ein Lächeln an: „Machen Sie sich um mich keine Sorgen, gnädige Frau. Ich habe einige hochgestellte Klienten von nebenan und weiß im Falle eines Falles sehr viel über gewisse Auslandskonten zu berichten.“
Elisabeth wollte sich jetzt verabschieden, doch er hielt sie zurück. Ein winziges Zögern und die Qual in den Augen des Advokaten verrieten Elisabeth, dass sie auf noch mehr schlimme Neuigkeiten gefasst sein musste.
Und richtig. Von Meyerlinck sagte: „Ich bedauere zutiefst, gnädige Frau, dass ich Ihnen diese Mitteilung machen muss. Aber Sie müssen wissen, dass die Männer zusammen mit meinen Akten auch die Vollmachten des Doktors für den Verkauf seiner Immobilien mitgenommen haben. Ich kann überdies nicht sagen, was mit meinen Klienten-Konten geschehen wird, aber die meisten werden vermutlich liquidiert werden. Was ich damit sagen will, Frau Malpran, ist, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie Bescheid wissen. Verstehen Sie? Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Sie sollten sofort mit Ihren Kindern aufbrechen und Deutschland verlassen. Am besten noch heute, wenn Sie die Möglichkeit dazu haben.“
Das waren in der Tat die schlimmsten denkbaren Neuigkeiten. Ausgerechnet jetzt. Aber Elisabeth war so sehr mit der Sorge um Gustavs Verbleib angefüllt, dass sie die gesamte Tragweite von Meyerlincks Eröffnung für sich selbst noch gar nicht richtig ermessen konnte.
Niedergeschlagen kehrte sie nach Hause zurück, wo man sie mit vielen Fragen und Hoffnungen erwartete.
Doch sie brauchte erst ein wenig Zeit für sich, um in Ruhe über ihre weiteren Schritte nachdenken zu können. Wichtige Entscheidungen waren zu fällen. Darum schickte sie Magda mit den Kindern und der Dackeldame Biene auf einen Spaziergang mit anschließendem Eis und Bertha in die Küche.
Nachdenklich lief Elisabeth durch die Wohnung und suchte dabei unbewusst die Räume auf, in denen die Präsenz ihres Gatten noch am stärksten nachwirkte. Im Herrenzimmer trat sie an die Zigarrenkiste und hob den Deckel an. Sie sog den ihr entströmenden, vertrauten Duft ein. Sie mochte den Geruch, auch wenn Gustav, der nur selten in Herrengesellschaft eine Zigarre genoss, eine ganz eigene Einstellung zum Rauchen hatte. Tatsächlich hielt er nicht viel vom Einräuchern und hatte ihr gegenüber behauptet, es wäre ungesund, außer man ist ein Schinken.
Sie betrat das Musikzimmer und rief sich jene unvergesslichen Stunden in Erinnerung, wenn sie ihre Arien einstudiert und sich selbst am Klavier begleitet hatte. Manchmal hatte sich Gustav heimlich hinter ihrem Rücken hereingeschlichen, um gemeinsam mit ihr in der Musik zu versinken. Auch wenn sie ihn nicht sah, wusste sie immer, wenn er da war. Sie konnte seine Präsenz spüren. Ohne einen Laut kommunizierten sie miteinander, teilten die Schwingungen der Musik, die in ihren Herzen erklangen und für Elisabeth auch jetzt noch fühlbar im Raum hingen. Vielleicht sogar waren sie noch heute dort zu finden, weil Erinnerungen unsterblich sind.
Als Nächstes betrat Elisabeth Gustavs Schlafraum. Ihre schmalen Nasenflügel bebten, als sie den feinen Geruch seines Eau de Cologne und seiner Rasierseife wahrnahm. Doch sie war nicht hier, um zu weinen und sich peinigenden Sentimentalitäten hinzugeben, wie etwa Gustavs Kopfkissen an sich zu drücken. Nein, das würde sie keinesfalls tun! Schließlich war Gustav nur im Augenblick nicht für sie
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