Honigtot (German Edition)
aufgewendet, sich um das Wolferl zu kümmern, hatte ihm alle Geschichten erzählt, die sie je gelesen und ihm alle Lieder vorgesungen, die sie je gelernt hatte, um ihn davor zu bewahren, dass ihm langweilig oder bange werden konnte.
Elisabeth dankte ihrem Herrgott für diese Tochter und im selben Atemzug klagte sie ihn an: Wie konnte Er die Taten solcher Menschen zulassen? Was waren das für Bestien, die unschuldigen Kindern etwas Derartiges antun konnten?
Aber die Tage im Gefängnis waren nicht Deborahs eigentlicher Schrecken. Dieser offenbarte sich erst, als sie ihrer Mutter erzählte, wie Herr Brunnmann gekommen war und sie aus der Gefängniszelle befreit hatte.
Herr Brunnmann hatte zunächst einen ziemlichen Wirbel veranstaltet, weil hier ein schwerwiegender Justizirrtum vorlag, die Kinder der bekannten und vom Führer sehr geschätzten Sängerin Frau Elisabeth Malpran grundlos einzusperren.
Weil Deborah sich dann standhaft geweigert hatte, ohne Magda zu gehen, wurde sie durch die dünnen Wände des Nebenzimmers, in dem man sie und Wolferl warten ließ, Zeuge des Gesprächs zwischen Herrn Brunnmann und dem Gefängnisdirektor. Sie hörte, wie jener darauf hinwies, dass die Befragung der Verdächtigen zwar keine neuen Erkenntnisse ans Tageslicht gebracht, dafür aber körperlichen Schaden hervorgerufen hatte.
„Bedauerlicherweise“, meinte der Direktor ohne eine Spur von Bedauern, „hat unser Mann hier etwas zu viel Eifer an den Tag gelegt. Die Frau befindet sich in keinem guten Zustand. Ein Transport könnte ihr den Rest geben.“
Deborah hatte sofort begriffen, dass diese Unterhaltung über Magda nur eines bedeuten konnte: dass man die Arme in den letzten beiden Tagen böse misshandelt haben musste.
Immerhin hatte sie auch gehört, wie Herr Brunnmann beste medizinische Versorgung für Magda angeordnet hatte und sofort informiert werden wollte, wenn die Frau soweit wieder hergestellt wäre, um die Rückreise nach München anzutreten.
Sie verließen das Gefängnis bei strömendem Regen. Als sie sich Brunnmanns schwarzer Limousine genähert hatten, hatte es die erste freudige Überraschung der letzten Tage gegeben: Die treue Biene hatte - jedenfalls ihrem verdreckten und halbverhungerten Zustand nach - die ganze Zeit über vor dem Gefängnis Wache gehalten. Winselnd stürzte sie sich nun auf sie.
Herr Brunnmann hatte den triefenden Hund - dies ohne mit der Wimper zu zucken -, mit in sein gepflegtes Auto genommen. Es war dieser eine Moment gewesen, durch den er Deborahs Vertrauen für eine sehr lange Zeit gewann.
Am Ende ihres Berichts weinte Deborah mit bebendem Körper an Elisabeths Schulter. Irgendwann, sehr viel später, hob sie ihr verquollenes Gesicht und fragte ihre Mutter: „Mama, es ist so furchtbar, was sie Magda angetan haben. Wie kann ein Mensch einen anderen freiwillig quälen? Ihm so weh tun, dass er beinahe daran stirbt? Was geschieht bloß mit der Welt? Und wo ist Papa? Was ist mit ihm passiert? Wenn er auch verhaftet worden ist, haben sie ihm dann genauso wehgetan wie Magda? Ich habe solche Angst, Mama.“
Elisabeth hielt ihre Tochter Deborah die ganze Nacht über im Arm und gemeinsam weinten sie sich in den Schlaf. Bevor sie einschlief, nahm sich Elisabeth fest vor, gleich am nächsten Morgen Herrn Brunnmann darum zu bitten, alles zu arrangieren, damit sie selbst nach Stuttgart fahren konnte. Vielleicht konnte dieser Dr. Strelitz gleich mitfahren. Er war zwar ein SS-Mann, schien aber kein unbegabter Mediziner zu sein – insofern sie dies im Vergleich mit den Fertigkeiten ihres Mannes beurteilen konnte.
Magda sollte erfahren, dass man sich um sie sorgte, dass man sie nicht allein ließ in ihrem Leid, welches ihr von gemeinen und gefühlskalten Menschen zugefügt worden war.
Auch Elisabeth stellte sich die Frage, was mit der Welt weiter geschehen würde.
Kurz nach fünf Uhr morgens schellte das Telefon in der Suite. Elisabeth schreckte aus wirren Träumen auf und dachte, dass sie die Rückkehr ihrer Kinder nur geträumt hatte.
Dann spürte sie Deborahs und Wolferls vertraute und warme Körper links und rechts an ihre Seite geschmiegt. Aufgeschreckt durch das Telefonläuten, bewegten sich beide benommen, doch nur Deborah wurde davon wach. Wolferl drehte sich sachte schnaubend zur Seite und schlief mit dem Daumen im Mund sofort wieder ein.
Im Raum herrschte vollkommene Dunkelheit. Elisabeth hatte am Abend die schweren Damastvorhänge zugezogen und sie benötigte etwas Zeit, um
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