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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanni Münzer
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wie sie seine Helden in den Karl-May-Büchern bestehen mussten. Wenn er ein wenig rau behandelt worden war, gefroren und gehungert hatte, so musste dies so sein, denn zu einem richtigen Abenteuer gehörte schließlich auch ein wenig Leiden! Wie sollte man sonst hinterher als ein Held gefeiert werden können?
    Seine Logik mochte rührend kindlich sein, aber in diesem Fall hatte sie ihren Zweck erfüllt und ihn vor einem ähnlichen Schock beschützt, wie ihn seine Schwester Deborah erfahren hatte.
    Wie sich herausstellte, hatte das Wolferl die meiste Zeit im Schutz der Arme seiner großen Schwester verbracht. Vielleicht lag darin die Erklärung für Deborahs gleichermaßen mentale wie physische Erschöpfung, da sie alles daran gesetzt hatte, damit ihr Bruder möglichst keine Furcht verspürte: Sie hatte ihn gewärmt und ihm ihre eigene karge Essensration überlassen, hatte über seinen Schlaf gewacht und allerlei Krabbeltier abgewehrt.
    Endlich fielen dem Kleinen die Augen zu. Gerade hatte er noch etwas gesagt und im nächsten Moment sank sein Kopf an Elisabeths Schulter. Sie küsste seine zarte Stirn, nahm ihn hoch und trug ihn zum Bett hinüber.
    Liebe und Zärtlichkeit übermannten sie beinahe schmerzhaft, als sie das warme Gewicht ihres kleinen Sohnes auf ihren Armen wiegte. Mit großer Achtsamkeit, als wäre er zerbrechlich, legte sie ihn nieder und deckte ihn zu. Sie konnte sich nur schwer von seinem friedlichen Anblick lösen, so viel Glück bereitete es ihr, ihm einfach nur beim Schlafen zusehen zu können. Mehr als zwei Tage hatte sie um diesen Augenblick gebetet und nun war er da.
    Gleichzeitig fühlte sie die unruhige Präsenz ihrer Tochter, spürte ihren heimlichen Schrecken, über den sie mit ihr als Mutter sprechen musste. Elisabeth fürchtete sich jetzt beinahe vor dem Wissen und der Verantwortung, die Deborah auf sie übertragen würde. Die Wahrheit würde sie mit Wucht treffen. Inständig hoffte sie, dass sie ihrer Rolle als Mutter gerecht werden könnte, so dass Gustav stolz auf sie sein würde. Vor allem aber betete sie darum, dass sie die richtigen Worte des Trostes und der Stärke finden würde, um Deborahs verletztem Gemüt Linderung zu verschaffen.
    Elisabeth setzte sich neben sie und nahm die kalten Hände ihrer Tochter in die ihren. Sie rieb sie mit vertrauter Geste, wie sie es oft getan hatte, wenn Deborah über kalte Hände geklagt hatte. Deborahs Hände waren sehr schön - schmal und zartgliedrig und geschmeidig vom Klavierspiel.
    Deborah begann nun mit ihrem eigenen Bericht der Geschehnisse, der sich sehr von dem Wolferls unterschied. Während sich Mutter und Tochter weiter an den Händen hielten und ihre Wärme teilten, erzählte sie, wie zwei Polizisten im Stuttgarter Hauptbahnhof in ihr Abteil gedrängt waren, ihre Papiere verlangt hatten und gleich darauf behauptet hatten, dass damit etwas nicht in Ordnung wäre und sie deshalb alle mitkommen müssten. Wie sich Magda ihnen mutig entgegengestellt und sofort angeboten hatte, mit Frau Elisabeth Malpran, der berühmten Sängerin zu telefonieren, die zurzeit Gast im Hotel Adlon in der Reichshauptstadt Berlin wäre und die Richtigkeit ihrer Angaben bestätigen würde.
    Aber die Männer hatten Magda nicht zuhören wollen, stattdessen hatten sie sie gepackt und an den Haaren aus dem Abteil geschleift. Wolferl hatte angefangen zu weinen, aber Magda habe ihm zugerufen, das wäre nur Spaß und es täte gar nicht weh. Wolferl hätte es vielleicht geglaubt, aber Biene nicht. Zähnefletschend habe sie sich auf das Bein eines der Polizisten gestürzt. Der andere hätte seine Waffe gezogen, Wolferl habe geschrien: „Lauf Biene “ und Magda gefleht: „Um Gottes willen, die Herren! Sie werden doch nicht auf kleine Kinder und Hunde schießen. Es ist doch gut. Wir kommen mit Ihnen mit!“
    Biene hatte in dem allgemeinen Tumult entkommen können.
    Man hatte sie in einem Lastwagen weggebracht und in eine Gefängniszelle geworfen. Magda hatte man bald darauf wieder abgeholt und seitdem hatte Deborah sie nicht mehr wiedergesehen.
    Deborah und das Wolferl hatten zwei Tage allein in dem Gefängnis verbracht. Es gab wenig zu essen, keine Möglichkeit, sich zu waschen, und für ihre Notdurft hatten sie einen verbeulten Blecheimer, dessen einzige Verteidigung ein Deckel war. Immer wieder hatte Deborah versucht mit der verkniffenen Wärterin ein Gespräch anzufangen, aber sie war entweder dumm oder stumm, vermutlich beides. Sie hatte schließlich ihre ganze Kraft

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