Honigtot (German Edition)
seinen Uniformkragen hinausblicken konnte.
Sie konnte bei ihm nichts weiter ausrichten und verschwendete nur ihre Zeit. Durch den Hörer klang dann wieder ein besonders durchdringendes Scheppern. Elisabeth hörte Ottilie im Hintergrund: „Jessas, die schöne Vitrine“, rufen und sie konnte sie sich sehr gut vorstellen, wie sie dabei ihre Hände erschrocken vor das Gesicht schlug.
Elisabeth wahrte ihre Gemütsruhe, obwohl einige scharfe Worte an ihren Stimmbändern schabten, und erwiderte mit erzwungener Höflichkeit: „Ich danke Ihnen trotzdem, Herr Hauptmann.“
Ottilie kehrte nochmals kurz zurück an den Apparat und Elisabeth tat ihr Bestes, um sie zu beruhigen, und erzählte ihr deshalb, dass Deborah und das Wolferl unversehrt bei ihr in Berlin angekommen wären. Sie versprach auch, so bald wie möglich nach Hause zurückzukehren.
So wurde nichts aus Elisabeths Vorhaben, am Morgen nach Stuttgart zu reisen, um nach der unglücklichen Magda zu sehen.
Elisabeths drückende Sorgenlast nahm weiter zu. Noch ahnte sie es nicht, aber die nächtliche Heimsuchung würde sich für sie noch als äußerst fatal erweisen.
Elisabeth wartete bis kurz nach sieben Uhr morgens. Dann rief sie in der Dienststelle des Herrn Brunnmann an und erfuhr zu ihrem Leidwesen, dass er für heute nicht erwartet wurde, da er sich auf einer Dienstreise befand. Dann aber dachte sie, was soll´s, halb so wild, schließlich war der Schaden zuhause laut Ottilie eh schon angerichtet.
Weil ihr Unwille, sich nochmals an Görings Büro wenden zu müssen, den Nutzen ihrer Meinung nach nicht überwog, beschloss sie, noch heute mit den Kindern zurück nach München zu reisen. Ihre bisherigen Bemühungen, das Schicksal ihres Gatten in Berlin zu klären, waren ohne Ergebnis verlaufen und eigentlich konnte sie die Angelegenheit von zuhause aus ebenso weiterverfolgen.
Auch lag München näher an Stuttgart, und sie könnte die Fahrt zum Gefängnis dann gleich am nächsten Morgen antreten und Magda vielleicht schon mit zurück zum Prinzregentenplatz nehmen.
Sie bat telefonisch um die Vorbereitung der Hotelrechnung und erlebte die nächste böse Überraschung: Elisabeths Bank verweigerte die telegrafische Überweisung, auf die das Hotel mit den Worten: „Wir bedauern dies sehr, Madame, aber die Zeiten …“, bestand.
Wie sie da in der Hotellobby stand und dazu gezwungen war, ihren knausrigen Impresario in Wien zu kontaktieren, um sich von ihm das Geld für die Hotelrechnung und drei Fahrkarten nach München zu leihen, zündete die Erkenntnis ihrer Lage erst richtig in ihrem Bewusstsein: Sie war absolut mittellos! Natürlich, von Meyerlinck hatte es ja bereits angedeutet. Die Beschlagnahmung von Gustavs gesamten Vermögenswerten war das unmittelbare Ergebnis der Durchsuchung bei ihrem Anwalt.
Elisabeth verfügte zwar über ein eigenes Bankkonto für ihre Gagen, aber sie hatte es gegen null gebracht, als sie ihre Emigration nach London vorbereitet hatte. Gerade weil Gustav und sie nicht vorgehabt hatten, den Nationalsozialisten ihr schwer verdientes Geld zu überlassen, hatten sie es jenen erst ermöglicht, sich ihr gesamtes Vermögen - einschließlich allem, was Elisabeth selbst als Künstlerin verdient hatte -, einzuverleiben.
Elisabeth besaß kaum noch eine Reichsmark. Nicht einmal ihr wertvoller Schmuck befand sich noch in ihrem Besitz. Sie nahm kaum an, dass sie ihn je wiedersehen würde; wahrscheinlich baumelte er längst an den feisten Hälsen der Damen der Stuttgarter Nazibonzen. Ihr waren nur ihre Perlen und ihre goldene Uhr geblieben und die beiden Ringe, die sie trug. Einer davon war ihr Ehering.
Ihr Blick suchte jetzt ihre Kinder, die den Postkartenständer an der Rezeption drehten. Deborah zeigte dem Wolferl einige Wahrzeichen von Berlin und ihr Sohn reckte aufgeregt seine kleine Gestalt, um ja alles auf einmal anzusehen. Diese beiden waren ihr wahrer, ihr einziger Schatz und ihr Herz flog ihnen zu. Sie würde alles, alles für ihre Kinder tun, koste es, was es wolle, und wenn sie hierfür einen Pakt mit dem Teufel eingehen musste!
Zunächst galt es also für das neue Familienoberhaupt Elisabeth, Geld zu verdienen. So wie sie ihren geschäftstüchtigen Impresario kannte, hatte er bereits in dieser Minute begonnen, Angebote innerhalb Deutschlands und dem Reich einzuholen - denn das geliehene Geld musste schließlich wieder hereinkommen!
Elisabeth wurde von einer abgrundtiefen Wehmut erfasst. Nun hatte das Regime genau das
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