Honigtot (German Edition)
aus ihrer braunen Wäsche; jetzt hatten sie die ganzen Kalamitäten am Hals: Ein Protokoll musste geschrieben, ein Leichenbeschauer bestellt und überhaupt einige Fragen beantwortet und einige Erklärungen abgegeben werden, aber der General bekam dann ein sehr schönes Begräbnis, zusammen mit seinen Orden.
Sehr viele Menschen kamen zu seinem letzten Geleit und der schönen Ansprache („Deutschland vergisst seine Kriegshelden nicht“), aber Familie fand sich keine mehr. Der General hatte sie alle überlebt.
Irgendwann später am Tag, als der General schon fortgeschafft worden war, erinnerte sich einer der Polizeibeamten, der ein frisches Pflaster auf der Nase trug, an dessen gefällige Begleitung. Er fragte in die Runde seiner Kollegen: „Wo ist eigentlich das hübsche Fräulein hingekommen?“
Deborah hatte es angesichts der ungünstigen Entwicklung vorgezogen, lieber zu einem späteren Zeitpunkt wiederzukommen. Aber dazu kam es dann gar nicht mehr.
Zuhause stürzte ihr nämlich Ottilie im Korridor entgegen und schrie in heftigstem Bayrisch: „Ja, wo bleibn´s denn, Fräulein Deborah? Die Magda is kemma, und schlimm sieht´s aus. In allen Farben tuts leuchten und keine Hoar hat´s mehr. Liaba Gott, wenn nur der Doktor da wär!“
Magda sah wirklich arg mitgenommen aus. Eigentlich hätte sie in ein Krankenhaus gehört, aber sie weigerte sich strikt. Ottilie wurde sofort nach einem Doktor geschickt, der erst gegen Abend in Erscheinung trat; es gab inzwischen zu viel Arbeit für zu wenige Ärzte. Die meisten jüdischen Ärzte hatten München mittlerweile verlassen - gezwungenermaßen, weil sie ihre Krankenhaus- und Kassenzulassungen verloren hatten. Als Nächstes plante die Regierung in Berlin, allen jüdischen Ärzten die Approbation zu entziehen und somit ihre Überlebensgrundlage.
Der Arzt richtete bei Magda mehrere gebrochene Finger. Auch war ihr Körper von einer Unmenge Prellungen übersät und leuchtete wirklich in allen Farben, wie Ottilie beschrieben hatte. Aber sie war sehr tapfer und tat das ihr Zugestoßene als kaum erwähnenswert ab. Stattdessen weinte sie Freudentränen, so froh war sie, dass Deborah und Wolfgang nichts Böses geschehen war. Angesichts der ihr angediehenen Behandlung hatte sie schon mit dem Schlimmsten gerechnet.
Der Arzt diagnostizierte dann noch fachmännisch eine Gehirnerschütterung, als Magda sich zum Abschied über seine Schuhe erbrach. Dann ging er, um nach Frau Elisabeth zu sehen, die der Infekt heimtückisch niedergestreckt hatte - kein Wunder nach all den sich zugemuteten Strapazen der letzten Tage.
Er ordnete für Frau Elisabeth mindestens eine Woche strikte Bettruhe und viele Stärkungstrunke à la Bertha an und genehmigt sich auch gleich selbst einen, und dann noch einen.
Deborah hoffte schwer, dass er keinen Hausbesuch mehr vorzunehmen hatte. Sie vermisste ihren Vater unendlich.
Aber die Tage vergingen und es gab keine Nachricht von ihm.
Kapitel 23
Zwei Wochen später meldete sich Herr Albrecht Brunnmann telefonisch am Prinzregentenplatz an, um Frau Elisabeth Malpran seine Aufwartung zu machen.
Elisabeth war wieder soweit genesen, dass sie erste Stimmübungen für ihr kürzlich bestätigtes Engagement an der Berliner Staatsoper absolvieren konnte. Sie empfing Herrn Brunnmann in ihrem Musikzimmer, wo ein neuer Flügel - noch unbezahlt - stand, weil der vormalige durch regierungstreue Kunstbanausen eine üble Schändung erfahren hatte.
Herr Brunnmann brachte völlig unerwartet ein willkommenes Gastgeschenk mit: Elisabeths beschlagnahmten Schmuck. Die Kollektion war sowohl vollständig als auch unbeschädigt. Elisabeth staunte darüber, hatte sie doch nach all dem negativ Erlebten mit dem Gegenteil gerechnet.
Selbstverständlich ließ sie sich ihre Gedanken nicht anmerken, nicht vor einem hochrangigen Vertreter desselbigen Regimes. Doch als sie den Kopf hob, entdeckte sie in den Augen des Herrn Brunnmann, dass er sie durchschaut hatte.
Herr Albrecht Brunnmann neigte nicht zu allzu vielen Worten, vor allem nicht, wenn es seine eigene Person betraf. Doch an diesem Tag erfuhr Elisabeth immerhin so viel, dass er eigentlich Maschinenbau-Ingenieur war und bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten für die deutsche Tochter einer amerikanischen Ölgesellschaft gearbeitet hatte.
Was er seit Anfang 1933 in seiner maßgeschneiderten SS-Uniform auf seinen unzähligen Reisen in der stets auf Hochglanz polierten schwarzen Mercedes-Limousine
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