Honigtot (German Edition)
hatte, legte sie für eine gerade Vierzehnjährige eine enorme Portion Mut und Entschlossenheit an den Tag. Vielleicht aber drang hier auch ein wenig das Vermächtnis ihrer Mutter Elisabeth durch, deren Hang zur Impulsivität - jedoch ohne deren Begabung, diese im richtigen Augenblick anzuwenden.
Im Treppenhaus kam es zu einer kurzen Verzögerung. Deborah lief just dem General mit der nicht ablaufen wollenden Haltbarkeitsdauer in die Arme.
Ottilie, die in Regen- und Donnertagen über den größten Erfahrungsschatz an Begegnungen mit ihm verfügte, hatte kürzlich bissig bemerkt, dass das Mannsbild wahrlich der älteste Knacker im ganzen Reich sein müsse und dafür hätte er glatt einen extra Orden verdient!
Und Magda, die gerade einen Strumpf stopfte, hatte schmunzelnd ergänzt, dass der Alte sowieso schon über mehr Orden als Brust verfüge. Danach hatten sie einige vergnügliche Momente lang darüber spekuliert, welches Fleckerl sich der General im Falle eines weiteren Ordens denn ausgesucht hätte, und waren irgendwann übermütig kichernd beim Hosenlatz gelandet.
Deborah wollte sich mit einem höflichen Knicks an ihm vorbeischieben. Aber der alte General, der junge Menschen sonst völlig übersah, als bestünden sie aus Luft oder Glas, schien gerade heute auf Gesellschaft aus zu sein. Er stellte sich ihr mitten in den Weg und sprach sie mit blecherner Lautstärke an, die weithin ins Feld schallte: „Sagen Sie einmal, junges Fräulein. Was ist denn in letzter Zeit bei Ihnen los? Die Praxis geschlossen und den Doktor sieht man gar nicht mehr. Und wo steckt Frau Elisabeth? Berichten Sie!“
Deborah blieb keine Wahl, als ihm zu schildern, dass der Doktor verschwunden, die Mutter krank und ihre Gouvernante vermutlich in einem Münchner Gefängnis saß, angeblich weil sie eine Diebin wäre. Sie selbst wäre gerade dabei, die nächstgelegene Polizeidienststelle II aufzusuchen, um Erkundigungen über ihren Verbleib einzuholen.
Der General wurde daraufhin ganz entrüstet von Kopf bis Fuß und ließ einige böse Worte fallen über österreichische Gefreite, Größenwahn und braune Sippschaften, wofür er mindestens so viele Jahre Gestapo-Gastfreundschaft bekommen hätte, wie er Lebensjahre zählte. Sodann holte er einmal tief Luft, ein Röhren wie von einem Bronchitis geschädigten Hirsch, vielleicht ein persönliches Halali, und was Deborah niemals geglaubt hätte, er tat es kund: „Ich komme mit!“
Deborah hatte gleich ein ungutes Gefühl bei der Sache, aber sie war nach seinen Maßstäben nur ein Kind, das mit so etwas selbstverständlich überfordert ist, und er war ein Soldat, ein Veteran Kaiser Wilhelms, mit Orden und Einfluss!
Und so zogen sie zusammen in den Krieg. Der General forsch mit Stock und Bein ausholend, das Kinn gereckt, die Brust gestreckt und Deborah trippelte elegant als Dame herausgeputzt auf den ersten Stöckeln ihres Lebens neben ihm her. Sie trug ein Kostüm aus dem Schrank ihrer Mutter und auf ihrem sorgfältig hochgesteckten Haar saß ein kecker kleiner Hut. Eine entzückende Ausstattung, um sich einige Jahre Frausein dazuzumogeln.
Das Ziel war bald erreicht. Der wackere Kriegsheld enterte in einem Sturmangriff die Amtsstube und ging sofort ab wie eine Haubitze. Worte wie „Ich verlange…“ und „Sie haben hier gar nichts zu verlangen, Alterchen“ und „wissen Sie, wen Sie vor sich haben?“ und „leck mich“, flogen wie Kugeln.
Deshalb beschloss der seines Ruhms missachtete General, dem Mann die Behandlung angedeihen zu lassen, die man in den guten alten Zeiten bei allen unverschämten Lumpen angewandt hatte: Er zog dem Überraschten eines mit dem Spazierstock über und Deborah wurde schlecht.
Das ging nun natürlich überhaupt nicht, ein tätlicher Angriff auf einen Beamten des Deutschen Reiches! Und daher fackelte man auch nicht lange und der General wurde kurzerhand verhaftet.
Das erwies sich dann auch wieder als gar nicht so einfach, denn der alte General war ein ruhmreicher Kämpfer an allen Fronten, der Spazierstock flog, traf hier ein Auge, dort eine Nase und zum Schluss brauchte es drei Mann, um des Tobenden Herr zu werden.
Dann aber beging der General eine wahrlich ungeheuerliche Tat: Er gab einen Laut von sich, der wie ein „krchchch“ klang, fasste sich an die Orden, eine Geste wie ein letzter Salut, und dann legte er sich lang hin und hauchte seinen letzten Atem aus. Ein heldenhafter Tod im Angesicht des Feindes.
Die Beamten guckten da ziemlich dumm
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