Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)
lächelte.
»Das wird dir gefallen. Denn diesmal geht es um Freiheit. Und diese Freiheit begann seltsamerweise mit denselben Soldaten, die uns im Sommer davor aus den Betten gerissen hatten. Doch dieses Mal waren sie freundlich. Sie lachten, spendierten Fleisch, Brot und Wein und versprachen jedem Mann, der Soldat wurde, nach dem Krieg die Freiheit. Freiheit, ja Freiheit. Und dieses Wort klang so verheißungsvoll süß, dass keiner der Männer daran denken wollte, dass er diese Freiheit vielleicht nie erreichte, weil er vorher sterben würde. Und ich durfte mit. Mein Vater gab mich als Bursche zu einem Offizier, und drei Tag später marschierten wir Richtung Italien, um dort gegen die Kaiserlichen zu kämpfen. Wer das war, wussten wir nicht, und warum wir Franzosen zusammen mit Sarden gegen diese Kaiserlichen kämpfen mussten, weil man in Polen nicht wusste, wer der neue König war, verstanden wir auch nicht. Wir hofften nur, dass alles ganz bald zu Ende ging und wir unsere versprochene Freiheit bekamen. Die Freundlichkeit der Soldaten war nämlich längst verflogen. Das Essen war streng rationiert. Zunächst war es einfach nur viel zu wenig, aber am Ende gab es dann gar nichts mehr, und nach drei Tagen Hunger folgte die Schlacht. Reihe auf Reihe aufgestellt, marschierten wir auf die Gegner zu, während das zerhackte Blei ihrer Kanonen um uns herum explodierte. Gleich zu Beginn zerplatzte der Traum meines Vaters. Ich sah, wie er dreimal getroffen wurde: in Bein, Bauch und Hals. Ich verließ meinen Posten beim Offizier auf dem Hügel neben dem Schlachtfeld und stürzte mich ins Getümmel. Ich zerrte meinen Vater unter drei anderen toten Männern hervor, sah seinen hilflosen, verzweifelten, flehenden Blick, und ich verstand ihn als Bitte, weiterzukämpfen.
›Kämpfe, los, kämpfe und werde frei!‹
Und genau das machte ich dann. Ich riss das Bajonett von seinem Gewehr, das mir viel zu schwer war, und stürzte mich mit ihm als einziger Waffe in die Schlacht. Und du wirst es nicht glauben. Irgendwie schien das Töten für mich erfunden worden zu sein. Ich war sehr geschickt, hinterhältig, rattig, gemein. Ich tötete jeden. Manchmal sogar einen von uns, wenn er mir im Weg stand, um andere töten zu können. Ich weiß nicht, wie viele ich niederstreckte. Auf jeden Fall war das die Wende der Schlacht. Ich riss die anderen mit, und wir trieben den Fein d vor uns her, als ich plötzlich diesen Reiter sah. Er trug die Uniform der Kaiserlichen, doch er war vermummt. Du kennst das von meinem Soldaten. Er schien unverwundbar, ritt auf mich zu, riss mich auf sein Pferd und galoppierte mit mir auf einen Hügel hinauf. Von dort sahen wir auf das Schlachtfeld hinab.
›Schau dir das an. Sieh, wozu du in der Lage bist‹, sagte er zu mir, und ich zählte die toten Männer. Nein, ich versuchte sie zu zählen, denn es waren zu viele, und es wurden noch mehr, je weiter unsere Armee den Feind vor sich hertrieb. Dann spürte ich den Blick des Fremden. Seine Augen glühten rot durch die Schleier hindurch.
»Deinetwegen bin ich hier«, erklärte er mit kehliger Stimme. »Nach dir haben wir auf der ganzen Welt gesucht. Du bist unsere Zukunft, und wenn du mir vertraust, bringe ich dich an einen Ort, der dein Leben verändert.«
Talleyrand unterbrach seine Geschichte und blickte Will erwartungsvoll an.
»Verstehst du das, Will? Diese vermummten Soldaten, von denen du seit Jahren wissen willst, wer sie sind und woher sie kommen, haben ein Kind gesucht, das in seiner Verzweiflung zum Monster wurde.«
»Und du bist mit ihnen gegangen?«, fragte Will ungläubig und gegen seinen Willen vom Schicksal des Schwarzen Barons mehr als ergriffen.
»Da war dieses Wort. ›Vertrauen‹. Hast du’s vergessen? Und ich war erst zehn. Ich hatte gerade meinen Vater verloren und mit ihm den letzten Menschen auf dieser Welt, zu dem ich gehörte. Und ich hatte erfahren, wohin der Wunsch nach Freiheit führt.«
»Du meinst, in den Tod?«, fragte Will und sträubte sich innerlich gegen die Wahrheit, die in dieser Frage steckte.
»Wohin sonst?«, nickte Talleyrand und bestrich das dritte Stück Brot mit Butter. »Wie anders willst du die Situation bezeichnen, in der du dich hier befindest? Lebendig begraben unter dem Meer. Wohin hat dich dein Wunsch geführt?«
Will senkte den Blick. »Und warum erzählst du mir das?«
»Weil ich dich gesucht habe, Will, und weil ich dich zu dem Ort bringen kann, der dein Leben verändert.«
»Du bringst mich zu deinen
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