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Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)

Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)

Titel: Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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konntest.«
    Will wurde übel. Die Wahrheit, die Talleyrand ihm so freundlich und mit dem Lächeln eines großen Bruders verriet, ließ ihn schwindelig werden. Er taumelte und stützte sich gegen die Wand. Er fühlte sich nicht mehr wie ein Mann oder vielmehr: ein 16jähriger Junge, der ein Mann sein wollte. Er fühlte sich wie ein Kind.
    »Ich weiß, das ist hart. Aber wenn du mir ein paar Minuten schenkst, erkläre ich dir auch, warum du noch lebst und ich dich nicht getötet habe.«
    Will erschrak noch einmal. Er hatte das Gefühl, dass die Wand, gegen die er sich lehnte, hinter ihm wegzukippen drohte, doch das Lächeln des Franzosen fing ihn mit sanften Händen auf.
    »Komm, setz dich und trink ein Glas Wein mit mir. Du bist alt genug, und ich kann es gebrauchen, um den Staub wegzuwischen, der auf meiner Seele liegt. Weißt du, ich habe lange keinen Wein mehr getrunken. Mehr als ein halbes Leben lang. Eigentlich seitdem ich so alt war wie du und ich das hier abbekommen habe.«
    Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Narben auf seinem Rücken.
    »Damals hat mir auch jemand mein erstes Glas eingeschenkt. So wie ich das jetzt tue.«
    Er füllte die Gläser und sah das Entsetzen in Wills Augen.
    »Oh«, seufzte Talleyrand, »Das wollte ich nicht. Du musst keine Angst haben. Zu so etwas wie dem, was man mit mir gemacht hat, bin selbst ich nicht in der Lage. Also komm, setz dich und erfüll mir meine Bitte. Lass dir erzählen, wer ich und warum ich so bin und warum ich dich nicht getötet habe.«
    Will folgte ihm zögernd. Er ging langsam zum Tisch und sah sich währenddessen alles ganz genau an, als würde er es zum ersten oder womöglich auch zum letzten Mal sehen. Aus der Decke, die jetzt der Fußboden war, staken die Kronleuchter wie Pilze oder kristallene Bäume empor, und zwischen ihnen stand ein gedeckter Tisch. Auf ihm befanden sich eine Karaffe mit Wein zwischen zwei ordentlich genau im selben Abstand dazu positionierten Gläsern. Zwei Teller mit jeweils drei Stückchen Brot, von denen sich keines vom anderen unterschied. Die Messer für die Butter lagen so akkurat daneben, als wäre es eine Sünde, auch nur daran zu denken, sie zu bewegen, und bei der Butter war es ebenso. Die lag in kleine, kantige Würfel geschnitten in einer Schüssel und wagte es offenbar angesichts dieser peniblen Ordnung nicht, auch nur an den Ecken zu schmelzen. Will setzte sich langsam und legte die Hände unwillkürlich ganz brav und artig neben dem Teller auf den Tisch. Der Schwarze Baron musste lächeln.
    »Was meinst du?«, fragte er Will. »Was prägt einen Menschen stärker? Die Umgebung, in der er sich befindet, in der er aufwächst oder lebt, oder das Herz in seiner Brust, das sich, so wie dein Herz, leidenschaftlich danach sehnt, in absoluter Freiheit zu schlagen?«
    Will sah ihn verständnislos an: Was sollte die Frage? Natürlich war der Himmel blau. Natürlich fiel der Apfel zu Boden, wenn man ihn fallen ließ. Und er war Pirat.
    »Das meine ich ernst!« Sein Gegenüber bestand auf der Frage. »Was macht dich letztlich zu dem, der du bist?« Der Baron sah wieder auf Wills Hände.
    Der bemerkte erst jetzt, wie brav er am Tisch saß, und als er seine Haltung korrigieren wollte, als er erkannte, dass er auf dem steifen Stuhl gar nicht anders sitzen konnte, lächelte der Baron noch einmal.
    »Siehst du. Aber jetzt lass uns trinken.« Er hob das Glas und wartete geduldig, bis Will seinem Beispiel misstrauisch folgte. »Lass uns auf das Vertrauen trinken. Oh ja, das hat dich doch hergelockt. Vertrauen. Vertrauen. Wie das klingt? Als wäre es kein Wort, sondern vielleicht ein …«
    Er schaute Will erwartungsvoll an und der antwortete leise.
    »… Ja, ein Gebet.«
    »Darauf stoßen wir an«, nickte der Schwarze Baron. Die Gläser klangen wie helle Glocken und danach nahmen beide einen zaghaften Schluck.
    Talleyrand, weil er sich vor dem fürchtete, was dieser Schluck nach über 30jähriger Abstinenz in ihm alles wachrufen würde, und Will, weil er fest davon überzeugt war, der Wein wäre vergiftet. Doch dann überwältigte beide der Geschmack des fast schwarzen Getränks.
    »So ein Moment sollte niemals vergehen!«, flüsterte der Baron mit weicher Stimme, und Will dachte an die Mittsommernacht mit Hannah auf Rum Bottle Bottom. Er erinnerte sich noch einmal an die Augen der Hexe Jay-Nice-Jo-Pi-Lin, als er in der Tiefe des Berges aus ihrer Flasche getrunken hatte. Giermadenpisse war das gewesen. Doch das hatte er damals nicht

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