Honor Harrington 10. Die Baumkatzen von Sphinx
sich durch den Schnee grub – und zwar ihr entgegen!
Sie schrie aus vollem Hals auf und warf sich in ihrer finsteren kleinen Welt dem Geräusch entgegen, kämpfte sich fieberhaft aus der endlosen Schwärze empor. Sie schlug und trat in den Schnee, riss ihn beiseite, bis sie endlich mit der rechten Faust durch die letzte Barriere in die Luft stieß, und da erstarrte sie erneut, konnte sich nicht mehr bewegen – gelähmt war sie in einem merkwürdigen Schrecken und konnte einfach nicht glauben, dass sie sich tatsächlich den Weg in die Oberwelt zurück gebahnt haben sollte. Sie wollte schreien, sich bewegen, um Hilfe rufen, irgendetwas tun … aber sie konnte nicht. Sie konnte sich nicht bewegen, und so blieb sie still liegen.
Dann aber berührte sie etwas an der Hand. Starke, sehnige Finger schlossen sich um ihr Handgelenk und hielten es fest; etwas Seidig-weiches drückte sich gegen ihre zerschundene, blutende Handfläche. Ein nur halb gehörtes und halb empfundenes Trostlied drang brennend auf sie ein. Susan Hibson erschlaffte und schluchzte vor plötzlicher Erleichterung über die Sicherheit, die diese Berührung ihr schenkte und die sie überfiel wie Todesschmerz.
»Wohin wollen Sie uns, Ma’am?« Sergeant Wells keuchte, als sie und ihr Trupp neben Honor schlitternd zum Halten kamen. Der weibliche Unteroffizier brachte eine starke Handlampe mit, die in der zunehmenden Dunkelheit unverzichtbar war, und ihre Leute trugen Handtraktoren, Handpresser und Schaufeln. Honor blickte die Leute nacheinander an, dann bedeutete sie ihnen mit einer Kopfbewegung, ihr zu folgen.
»Hier entlang«, sagte sie und ging zu Nimitz’ Loch zurück.
»Wir sind ziemlich weit hinter der Suchlinie, Ma’am«, wagte Sergeant Wells sie zu erinnern.
Honor nickte. »Das weiß ich. Sagen wir, ich hatte eine Ahnung.«
»Eine Ahnung, Ma’am?«
»Das ist richtig, aber eigentlich ist es nicht meine Ahnung, sondern …«
Honor blieb so unverhofft stehen, dass Wells um ein Haar gegen sie gelaufen wäre, doch beide schenkten dem Beinahe-Zusammenstoß keine Beachtung. Sie starrten in das Loch, dass in der welligen weißen Fläche klaffte, auf die Stelle, wo eine kleine, dunkelhäutige Hand aufgerissen und blutig aus einer Schneemauer ragte. Ein cremefarben-grauer Baumkater drückte sich diese Hand an die Brust, und seine Augen glühten grün im Licht von Wells’ Lampe.
Ranjit Hibson schlug flatternd die Lider auf.
Lange lag er einfach nur da, schläfrig, zufrieden, warm. Aus irgendeinem Grund schien etwas an seiner Situation nicht zu stimmen, aber er konnte sich einfach nicht erinn …
»Susan!«
Er riss weit die Augen auf und setzte sich im Bett hoch. Susan! Wo war S …!?
»Es ist alles gut, Ranjit«, sagte eine vertraute Stimme, und er riss den Kopf herum, als jemand ihn an der Schulter berührte. »Mir geht es gut«, versicherte ihm die Stimme, und er keuchte vor grenzenloser Erleichterung, als seine Schwester sich auf Bettkante setzte und ihn anlächelte. Ja, das war die alte, nicht unterzukriegende Susan – jedenfalls fast … – in ihrem Lächeln lag noch ein Schatten der Dunkelheit. Er streckte die Hand vor und berührte mit sanften Fingern ungläubig ihr verschwollenes Gesicht.
»Sooze«, wisperte er. Ihre grünen Augen glänzten verdächtig feucht, als sie seine Hand nahm und sich an die Wange drückte. Ihre Hände waren dick bandagiert. Ranjit presste die Lippen zusammen, als er sah, wie vorsichtig sie ihn berührte. Sie aber sah in seinem Gesicht das sich ankündigende Stirnrunzeln und schüttelte rasch den Kopf.
»So schlimm ist es gar nicht«, versicherte sie ihm. »Ich habe alle Haut verloren, mich zigmal geschnitten und mir einen Finger gebrochen, aber die Schnellheilung ist schon im Gang. Meine Hände kommen lange vor deinen Beinen wieder in Ordnung. Und wo wir gerade bei den Beinen sind« – in ihren Augen funkelte echter Zorn auf –, »warum hast du mir nicht gesagt, dass du so schrecklich geblutet hast!«
»Weil ich es nicht sicher wusste«, antwortete er, während er sich noch immer an ihrem Gesicht erfreute – daran, dass sie lebte. »Außerdem hättest du trotzdem nichts anderes tun können als das, was du sowieso getan hast, nämlich Hilfe holen. Warum sollte ich dir auch noch damit das Herz schwer machen? Du hattest ohnehin schon genug Sorgen, Sooze.«
»Ja«, sagte sie schließlich und senkte den Blick auf seine Hand. »Ja, das hatte ich bestimmt.«
»Ja, das hatte sie«, sagte eine andere
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